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ABC-Bilder: mit Buntstiften Geschichten erzählen


Buntstifte sind Allrounder: Man kann damit monochrom oder mehrfarbig schraffieren, atmosphärische Verläufe schummern, deckend, transparent und in Schichten arbeiten, filigrane Linien ziehen, Flächen trocken oder flüssig verblenden ... Zudem sind Buntstifte vergleichsweise günstig und überall verfügbar; jeder hat sie zuhause herumliegen. Wenn es also im Kunstunterricht heißt: „Sollen wir als nächstes mit Buntstiften arbeiten?“, stößt dieser Vorschlag meist auf eine breite Zustimmung. Buntstifte liegen in der Wohlfühlzone der Schüler, damit zeichnet es sich leicht, kinderleicht. Mit Buntstiften kann man nichts falsch machen.


Oben: Zoi Chrisanthi A. (8c, Detail);

unten: Razan T. H. (9b, Vorskizze)


Soweit die Theorie. In der Praxis dagegen zeigt sich schnell, dass Buntstifte genauso viel Konzentration, Übung und Fingerspitzengefühl erfordern wie andere künstlerischen Medien auch. Zu Unrecht werden sie in die Kindergarten-Schublade gesteckt. Und es ist kein Zufall, dass so viele Grafiker und Illustratoren wie etwa Aljoscha Blau, Nikolaus Heidelbach oder Anthony Browne vorzugsweise mit Buntstiften arbeiten: Ihr Handling ist intuitiv, der Farbauftrag kontrollierbar und dabei ein wenig ungleichmäßig – in Zeiten cleaner Touchscreens und Hochglanzoberflächen eine willkommene Abwechselung. Doch ihre wahren Stärken entfalten Buntstifte an der Schnittstelle zwischen Bild und Schrift, wie unzählige Kinderbuchillustrationen eindrucksvoll belegen. Und gerade an dieser Schnittstelle setzte auch das ABC-Gruppenprojekt an, das ich im Frühjahr 2023 mit drei Mittelstufenklassen realisierte.


Noa Mailin K. (8c): "Orcas orakeln ohnmächtig"



Projekt-Idee

Bilder-ABCs: Jeder von uns hatte schon mal neugierig darin geblättert. Ananas, Ameise, Astronaut: Begriffe, die nichts miteinander zu tun hatten, schlossen plötzlich abstruse Wort-Allianzen. Zwar sollten sie primär der Festigung des Schriftbildes dienen. Doch unterschwellig setzten sie Assoziationsketten in Gang, die Künstlern wie Max Ernst oder René Magritte sicher gefallen hätten. Um den Zwängen der Vernunft zu entfliehen, suchten Surrealisten ihrerzeit nach neuen, zufallsbasierten Methoden. Dabei setzten sie auf aleatorische Verfahren und automatisches Schreiben, fügten Fundstücke zu phantasmagorischen Landschaften zusammen und ließen sich von Zufall und Spieltrieb leiten.

Eine vergleichbar unorthodoxe Inspirationsquelle bot das klassische Bilder-ABC. Hier wurden disparate Begriffe miteinander verknüpft, deren Zweckgemeinschaft im surrealistischen Sinne „schön“ war: „Schön wie das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch" (Comte de Lautréamont: Die Gesänge des Maldoror, 1869). Wie im legendären Gleichnis von Lautréamont, einem Surrealisten avant la lettre, kamen in Bilder-ABCs alltägliche Begriffe zusammen, deren magische Aura aus ihrer bizarren Symbiose resultierte. „Cooles Chamäleon coacht chaotische Clowns“ (Charlotte O., 8c): Das einzige Bindeglied zwischen diesen Wörtern war ihr Anfangsbuchstabe.

Das ABC-Prinzip war den Jugendlichen seit ihrer Grundschulzeit gut vertraut. An diese nostalgische Erinnerung konnte ich ansetzen und gleich in die Unterrichtsreihe starten. Denn eins hatte ich im Laufe meiner Lehrtätigkeit gelernt: Zu viel Kunsttheorie am Anfang bremst den anfänglichen Schüler-Enthusiasmus aus. Also startete ich gleich nach einer Blitz-Einführung mit der Praxis und reichte in den Folgestunden kurze Surrealismus-Exkurse häppchenweise nach.

Ein sehr witziges und inspirierendes - auch wenn etwas morbides - ABC-Buch haben Martin Schmitz-Kuhl (Autor) und Anke Kuhl (Illustratorin) im Klett Verlag herausgebracht. Zu beziehen unter anderem hier.



1. ABC-Sätze: Konzeptphase


Zuallererst ließ ich meine Lerngruppen – eine achte und zwei neunte Klassen – von ihren ABC-Erfahrungen berichten. Anschließend durfte jeder Schüler einen Zettel mit einem Buchstaben ziehen. Je nach Klassengröße mussten einige Buchstaben doppelt verlost werden, während ich die widerspenstigen Buchstaben X und Y sicherheitshalber ganz wegließ. Dafür schickte ich Ä, Ü und, nach einigen Diskussionen, auch Q ins Rennen. Denn meiner Ansicht nach verfügten diese drei Alphabet-Exoten über äußerst überzeugende Qualitäten. Außerdem brachten Umlauten ein wenig deutschen Pepp in unsere sonst eher internationale Buchstabensuppe.


Kadija D. (9c): "Ü-50-Jähriger überfährt Übeltäter"



Nicht alle Schüler waren auf Anhieb mit ihrem Los zufrieden – das Übliche also. Die komplizierten Verhandlungen, die nun folgten, erinnerten ein wenig an den zwielichtigen Schlemihl aus der Sesamstraße: „Hey du. Ja genau du. Willst du ein "E" kaufen?“ Am Ende waren allerdings die wenigsten Schüler bereit, ‚ihren‘ Buchstaben abzutreten: Schließlich war ihr Los eine Art Schicksal! Also blieb es größtenteils bei der ursprünglichen Zuteilung, und die eigentliche Konzeptarbeit konnte beginnen.

Das große Fabulieren ging los. „Tot trotz tausend Tabletten“, „Vollidioten vertreiben Veganerin“, „Potter paniert prunkvolle Phönixe“ lauteten Schlagzeilen aus der 9c (Katharina M., Simon W., Pia H.). In dieser Brainstorming-Phase konnten Schüler Lexika konsultieren, mit Hilfe ihres iPads eine Internetrecherche starten oder sich gegenseitig beraten,- wobei der Übergang von Murmel- über Kicher- hin zur Lachflash-Phase fließend war. „Troll trinkt Tee“ (Razan H.) oder „Jäger jagt Jaguar“ (Iftheqar S., beide 9b): Solange der Satzbau stimmte, war jeder Inhalt willkommen.

Bis zur nächsten Unterrichtsstunde hatten Schüler eine Woche Zeit, um sich ihren Satz durch den Kopf gehen zu lassen. Zumindest in dieser Hinsicht hatte es Vorteile, dass Kunst ein sogenanntes Kurzfach war. Denn die besten Einfälle kamen Schülern nicht im Unterricht, während sie sich darum bemühten, sondern völlig unverhofft beim Duschen, Musizieren oder Spazierengehen. Dem bekannten Aphorismus von Picasso „Ich suche nicht, ich finde,“ ließe sich entgegnen: „Erst wenn ich nicht suche, finde ich.“


Diyana K. (9b): "Ina isst italienisch in Italien."



 


2. Vom Text zum Bild: Skizzierphase


Sobald ein passender ABC-Satz gefunden war, konnten Schüler mit ihren Skizzen beginnen. Dabei sollten sie darauf achten, dass ihre Bilder den Text nicht bloß doppelten, sondern diesem gegenüber einen echten Mehrwert darstellten – eine Regel, die für jede Illustration gilt. Dazu wurden im Plenum exemplarische Szenarien durchgespielt. Wenn ein Satz etwa lautete: „Peter pinkelt Pingpongbälle“, dann musste Peter keinesfalls mit einer heruntergelassenen Hose abgebildet werden (wie es der Satzverfasser ursprünglich befürchtete). Stattdessen konnte die Illustration wie folgt aussehen: Oben im Bild angeschnittene Jungs-Beine; im Bildmittelgrund - herumfliegende Pingpongbälle; unten – herumrennende Passanten mit Regenschirmen. Überschneidungen, Auslassungen und Bonus-Motive, die im Text nicht vorkamen: Solche konzeptuellen Kniffe halfen dabei, das Kopfkino des Betrachters anzukurbeln und den ABC-Satz inhaltlich weiter zu fassen, als es der Wortlaut vorgab.


Elias R.-W. (9c): "Nafri nagelt Nagetiere."



Während es den Schülern von vorneherein klar war, dass ein witziges Bildmotiv Trumpf war, machten sie sich nur wenige Gedanken um die Komposition: Im Kunstunterricht nichts Neues. Daher musste auch hier häppchenweise nachgesteuert werden. Flächeneinteilung, Streuung, Gruppierung, Fernwirkung, Form- und Farbenkontraste … Ach, es gab so viel zu sagen zum Thema Bildkomposition! Und doch sollten solche Impulse stets kompakt bleiben, schließlich war eine Kunststunde kurz, der Geduldsfaden der Schüler noch viel kürzer, und der Enthusiasmus der ersten fünf Minuten sollte für eine ganze Doppelstunden reichen.


Mara M. (9c): "Berentzen bombardiert Berlin."



Trotzdem mussten einige formale Kriterien im Plenum besprochen werden, bildeten sie doch die Grundlage dieses Gruppenprojekts. Dazu gehörte unter anderem ein einheitliches Erscheinungsbild, denn wir wollten die fertigen Bilder im Rahmen einer Klassenausstellung zeigen oder sogar ein kleines ABC-Leporello für alle Mitwirkenden farbfotokopieren lassen. Daher hatte ich gleich zu Beginn des Projekts eine einheitliche Schriftgröße von 2,5 cm vorgegeben; auch den Bristol-Karton im Din A3-Format hatte ich für alle drei Klassen zentral besorgt, damit alle dieselben Arbeitsvoraussetzungen hatten und auch der Papier-Weißton bei allen Bildern gleich war.

Ein besonderes Augenmerk galt außerdem der Verknüpfung von Bild und Schrift. Diese durften nicht miteinander konkurrieren, vielmehr sollte das farbige Buntstift-Bild um den Schwarz-Weißen-Schriftzug einen angemessenen Rahmen bieten. Zum anderen durften einzelne Motive weder zu klein noch zu blass ausfallen, denn sie sollten eine starke Fernwirkung entfalten, um neben der markanten Schrift bestehen zu können.


Razan T. H. (9b): "Troll trinkt Tee."



 


3. Buntstifte: Schraffurübungen


Das Medium Buntstifte bot sich bei diesem Projekt in mehrfacher Hinsicht an. Zum einen ließen sich damit sowohl blasse als auch kräftige Farbflächen erzeugen, sodass der Fokus, je nach Intention, mal auf einer harmonischen Figur-Grund-Beziehung, mal auf plakativen Farbkontrasten lag. Zum anderen korrespondierte die grafische Linienführung der Schrift mit der Buntstift-Schraffur, sodass Schrift und Bild eine homogen wirkende Einheit bildeten. Und schließlich konnte man mit Buntstiften klare Umrisse und filigrane Details erzeugen, wie sie bei unserem narrativ angelegten ABC-Projekt von Vorteil waren.



Lifehacks to go: mit Buntstiften schraffieren

Man kann   mit Buntstiften auf zwei Weisen arbeiten: Entweder indem man in einem flachen Winkel, kreisend und nur mit leichtem Druck zeichnet, um sichtbare Striche zu   vermeiden. Durch das wiederholte Schummern (Engl.: Scumbling) und mit etwas mehr Druck kann man den Farbauftrag verstärken, bis die weiße Papierfarbe nicht mehr zu sehen ist. Wenn man den Stift   in einem steilen Winkel aufs Papier aufsetzt und mit dessen Spitze zeichnet, können farbintensive, linienbetonte Schraffuren entstehen (Engl.: Hatching).
Tipp: Farbflächen wirken   plastischer und lebendiger, wenn man für jede Farbfläche mindestens zwei verschiedene Buntstifte benutzt. Dazu werden unterschiedliche Farben schichtenweise und semitransparent übereinander geschummert. 
Sollte eine Farbe zu grell sein, kann ihre Leuchtkraft mit Braun, Beige, Grau oder Schwarz abgeschwächt werden. Bei   hellen, warmen Farben wie Gelb oder Orange sollten zum Trüben keine kalten Farben wie Schwarz oder Grau verwendet werden, ansonsten wirkt die finale   Mischfarbe grünlich. Es sei denn, genau diese Farbe ist erwünscht!

Obwohl alle Jugendlichen schon mal mit Buntstiften gearbeitet hatten, zeigte sich gleich in der ersten Stunde, dass ihnen noch das handwerkliche Schraffur-Knowhow fehlte. Wie füllte man größere Bildfelder aus? Wie mischte man? Wie erzeugt man fließende Farbübergänge? In einer experimentellen Doppelstunde durften Schüler verschiedene Schraffurtechniken und Stifthandhabungen frei erproben. Eine wichtige Erkenntnis dabei war, dass Schraffurtechnik direkt mit der Stifthaltung zusammenhing: Wurde der Buntstift wie ein Füller gehalten, konnte ein starker Druck auf die Mine ausgeübt werden. Dadurch fiel die Schraffur einerseits farbintensiv, andererseits aber auch strichbetont aus. Diese Stifthandhabung empfahl sich bei Strich-, Kreuz- oder Formschraffur sowie zum Nachziehen von Konturen.



Strebte man dagegen eine möglichst strichfreie, homogene Farbfläche an, empfahl sich das sogenannte Schummern. Hier wurde der Stift wie ein Geigenbogen locker von oben gehalten und seine Mine flach aufs Papier aufgelegt. In leichten, kreisenden Bewegungen konnten auf diese Weise vollkommen strichfreie Farbflächen erzeugt werden, blass und transparent, wie man sie für den Himmel oder andere weitläufige Farbhintergründe benötigte.

Wie immer ließen sich Kunsttechniken am effektivsten vermitteln, wenn man sie im Einsatz sah. Also demonstrierte ich in bester Bob-Ross-Manier verschiedene Schraffurtechniken (und genoss dabei ein wenig die Ahs und Ohs der Schüler, die sich gern von handwerklichen Raffinessen mitreißen ließen. Ihr Ehrgeiz war geweckt. Mit Papier und Buntstiften bewaffnet legten sie motiviert los. Verläufe üben, Farben mischen und verblenden: Bei Ausprobieren und Üben verging die Doppelstunde wie im Flug. Und auch das Anspitzen der Buntstifte mit dem Cutter hatte für viel Elan gesorgt – bei einigen Jungs sogar zu viel, sodass von ihren Stiften bald nur noch Minen blieben und die Zeichenstunde zu einer Schnitzstunde ausartete (s. Bild unten).


Lifehacks to go: Buntstifte anspitzen

Wenn   Buntstifte beim Anspitzen immer wieder abbrechen, kann es dafür drei   Erklärungen geben: 

1. Sie sind zu oft auf den Boden gefallen,   sodass die Mine in der Holzeinfassung mehrfach gebrochen ist. Hier hilft kein   Anspitzen mehr, neue Buntstifte müssen her. 
2. Die Mine kann auch abbrechen, wenn man den   Stift beim Anspitzen zu schräg hält. Dieser sollte ganz senkrecht in die   Anspitzeröffnung gesteckt und genauso senkrecht darin gedreht werden.
3. Der Anspitzer ist stumpf und muss erneuert   werden. Denn obwohl sein Verschleiß von Außen nicht sichtibar ist, hält seine   Klinge nicht ewig. 

Profi-Tipp: Benutze zum Anspitzen von Blei- und Buntstiften   einen Cutter: So kannst du die Klinge besser im Auge behalten, den   Anspitzwinkel selbst bestimmen und das Holz stärker zurückschneiden, als es   die trichterförmige Anspitzeröffnung erlaubt. So wird auch ein längeres Stück   Mine freigelegt, mit welchem du besser schummern kannst.

Zoi Chrisanthi A. (8c): "Napoleon nascht Nusstorte."



Als Zusatzangebot zu meiner eigenen Buntstift-Einführung im Plenum verlinkte ich für meine Lerngruppen ausgewählte Buntstift-Tutorials, auf welche sie per iPad zugreifen konnten, falls sie noch mehr Input benötigten oder krankheitsbedingt die Einführung verpasst hatten. Auf YouTube und anderen Kanälen findet man bekanntlich viele nützliche, kleinschrittige und anschauliche Kunst-Tutorials, deren Qualität spätestens seit dem Lockdown deutlich zugenommen hat. Zwar ersetzen sie weder das Klassengespräch noch die individuelle Beratung, und auch eine Einführungsstunde bleibt weiterhin unerlässlich, werden doch darin unter anderem die Beurteilungskriterien erläutert, welche im Folgenden zu berücksichtigen sein würden. Und doch stellen sie eine willkommene Erweiterung des Sicherungs-Repertoires dar und sind jederzeit erreichbar – im Gegensatz zu einem noch so motivierten Kunstlehrer. Eine Link-Sammlung habe ich unten, am Ende dieses Beitrags zusammengestellt.


Lifehacks to go: weitere Tipps und Tricks

Papier
Die Papierstruktur   trägt beim Schummern maßgeblich zur Bildwirkung bei. Optimale Ergebnisse   erzielt man mit einem nicht allzu rauen, aber auch nicht zu glatt gepressten   Papier, denn auf dem ersteren bleiben tiefere Stellen weiß und auf dem   letzteren haftet der Strich schlecht und die Schraffur wirkt fleckig. 
Radieren
Je weniger man beim   Vorzeichnen und Schraffieren radiert, desto besser: Ist die Papieroberfläche   erst einmal aufgeraut, zieht sie Staub und Pigmente magnetisch an, sodass das   finale Bild fleckig und schmuddelig wirken kann. Daher empfiehlt es sich,   beim Vorzeichnen mit einem Bleistift nur sehr schwach aufzurücken; falls man   sich verzeichnet und neu ansetzt, verschwinden die fehlerhaften Linien später   unter der Buntstift-Schraffur – oder können vorsichtig mit einem   Kneteradiergummi weggetupft werden. 

Höhen
Highlights kann man   mit einem Radierstift oder mit einem Radiergummi nachträglich erzeugen. Die harte,   blaue Seite des zweifarbigen Radiergummis eignet sich dafür am besten. Es   empfiehlt sich, alle Bildpartien, die hell bleiben sollen, mit einem weißen   Stift zu versiegeln. So verhindert man, dass farbigen Pigmente in die   Papierfasern eindringen. 
Zum Höhen feiner Striche können im letzten   Arbeitsgang eine spitze Nadel, ein Cutter o. ä. verwendet werden. Weiße   Akzente können auch mit weißer Tusche, Deckfarbe (hält eventuell weniger gut)   u. a. gesetzt werden.

Unfreiwilliges Verwischen
Um die fertig   schraffierten Flächen nicht zu verschmieren, kann man ein Blatt Papier unter   die zeichnende Hand legen: Der Handrücken rutscht darüber, die farbigen Bildpartien   bleiben geschützt.

Holzkratzer
Es ist wichtig, den Stift häufiger anzuspitzen, denn   sonst ratscht man beim Schummern mit dem Holz übers Papier und hinterlässt   dabei unwiderrufliche Kratzer und Farbspuren.

Mein Buntstift-Arbeitsblatt (im Lockdown 2021 erstellt) als PDF:


Buntstifte_Tangian
.pdf
PDF herunterladen • 490KB

Kenji O. (9c): "Designer Delphine dopen." (Zum Durchscrollen)



 

4. Fineliner: Schriftübungen


Als Kontrast zur tendenziell etwas diffusen, flimmernden Optik der Buntstiftschraffur hatte ich für den ABC-Schriftzug den Fineliner angedacht. Dieser mediale Zweiklang von atmosphärischer Illustration und grafischer Schrift war den Jugendlichen aus Kinder- und Jugendbüchern vertraut. Zwar sollte der Fokus unseres Projekts weiterhin auf Buntstift-Illustrationen liegen; doch auch der Schriftgestaltung gebührte die notwendige Sorgfalt. Also befassten wir uns in einem Zwischenschritt mit der Typographie.


Marie L. (8c) entschied sich für eine krude Kombination von Disney-Schrift und Vermeer



Typographie! Ein großes Wort, gelassen ausgesprochen. Allein zu diesem Thema ließen sich Unterrichtsreihe um Unterrichtsreihe konzipieren. Doh so viel Zeit hatten wir nicht. Also stellte ich im Rahmen einer Doppelstunde ein paar geläufige Schriftarten vor und ließ sie im Plenum diskutieren. Schnell stellten Schüler fest, dass Schrift nicht gleich Schrift war: So hatte Blockschrift eine starke Fernwirkung, Serifen sorgten für Seriosität, Schreibschrift verlieh dem Text eine persönliche, lyrische Note … Und wie schon bei den Bildmotiven, so galt auch bei der Typographie: Ein bewusster Kontrast zwischen Form und Inhalt konnte eine spannende Metaebene eröffnen. Die vermeintliche Seriosität von Times New Roman verstärkte etwa die Abstrusität von einem Satz wie „Quentin quasselt quasi qualitätslos“ (Hanna Sch., 8c).



Mit Hilfe eines Arbeitsblattes, auf welchem das vollständige Alphabet in acht verschiedenen Schriftarten abgebildet war (s. unten das PDF meines Arbeitsblattes zum Downloaden), konnten die Schüler nach dieser theoretischen Blitz-Einführung drei Schriften ihrer Wahl ganz praktisch ausprobieren. Dabei sollten sie mit Bleistift und auf kariertem Papier ihren Vor- oder Nachnamen drei Mal untereinanderschrieben. So konnten sie gleich am eigenen Namen erfahren, wie Form und Inhalt miteinander korrespondierten: Ein Philipp in Fraktur weckte vollkommen andere Erwartungen als ein Philipp in einer schnörkeligen Schreibschrift!

Gleich bei dieser kleinen Schriftübung hatte ich eine einheitliche Buchstabengröße vorgegeben, welche auch später bei unseren ABC-Schriften galt: fünf Kästchen Höhe bei den Großbuchstaben, drei Kästchen Höhe bei den Kleinbuchstaben, die Breite variierte dagegen situativ, je nach Schriftart und Buchstabenproportionen. Schließlich lagen zwischen einem I und einem W Welten.


Zum Schmunzeln und als Inspirationsvorlage: Alphabet-Ideen aus dem Netz



Diese einheitliche Größenvorgabe erleichterte den Schülern den Einstieg und sorgte für transparente Beurteilungskriterien, denn auf diese kleine Schriftübung gab es eine kleine Teilnote sowie ein individuelles Verbesserungs-Feedbacks. So konnten die Jugendlichen ihre ersten Erfahrungen mit der Typografie sammeln und ganz nebenbei an ihren handwerklichen Fertigkeiten feilen. Und weil das karierte Papier ein hilfreiches Schreibraster bot, benutzten es die Schüler nicht nur für diese erste kleine Aufgabe, sondern zum Vor-Schreiben ihres finalen ABC-Satzes. Hierfür klebten sie zwei DinA4-Blättern zu einem DinA3-Format zusammen, was sich als recht penibel erwies, mussten doch die Kästchen an der Schnittstelle exakt übereinstimmen. Anschließend pausten die Schüler ihren Satz auf den weißen Bristolkarton durch – mit Bleistift oder gleich mit Fineliner. Dabei konnten sie den Satz neu justieren, mittig positionieren oder ganz an die Seite setzen, immer mit mindestens zwei Zentimeter Abstand zum Rand.


Wie schön das Wort "Unmensch" in Fraktura aussehen kann! Skizze von Sarah H. (9c)





Lifehacks to go: Vorskizzen durchpausen

Bei   komplexeren, mehrteiligen Projekten empfiehlt es sich, alle einzelnen   Elemente auf einem oder mehreren Blättern vorzuzeichnen. So kann man   vermeiden, dass das finale Blatt voller Radier- und Schmierspuren ist. Darüber   hinaus lässt sich die Komposition noch optimieren, indem man ihre einzelnen   Bestandteile noch etwas näher zusammenrückt, zentriert oder entlang einer   Hilfslinie arrangiert, sie dann hinter dem finalen Blatt mit Kreppband   fixiert und am Fenster durchpaust. 

Profi-Tipp: Die Vorskizzen sind zu klein oder zu groß   geraten? Macht nichts! Dank iPads lassen sie sich abfotografiert, groß- oder   kleingeziehen und dann durchpausen, indem man sein iPad als Leuchttisch   benutzt (s. Bild unten). Dies geht am besten bei maximaler iPad-Helligkeit in einem abgedunkelten   Raum. Damit das Papier keine Knicke bekommt, sollte man die iPad-Schutzülle vorsorglich abziehen und sich nicht auf das Blatt abstützen. Und nein, Abpausen ist nicht   ehrenrührig, solange es eigene Skizzen sind, denn genauso arbeiten   professionelle Illustratoren auch.

Chantal P. (9c) paust ihre ins Unreine gezeichnete Schrift mit Hilfe ihres iPads, Madleen Th. (8c, weiter unten) am Fenster ab



Die Wahl der finalen ABC-Schrift blieb jedem Schüler selbst überlassen. Dafür konnten die Jugendlichen mein Arbeitsblatt mit den acht Schriftarten benutzen oder aber mit Hilfe ihrer iPads im Netz recherchieren. Als besonders ergiebig hatte sich dabei die kostenfreie Schriftensammlung fontmeme.com erwiesen. Hier konnte man nicht nur aus unzähligen originellen, nach Kategorien wie „Serif“, „3D“ oder „Comic“ geordneten Schriftarten wählen. Darüber hinaus konnte man sich seinen kompletten ABC-Satz in einer bestimmten Schrift anzeigen lassen, ihm einen Schlagschatten oder einen Farbverlauf verpassen, ihn rundbiegen, perspektivisch verzerren, dann als JPG-Datei herunterladen … Den typografischen Spielereien waren keine Grenzen gesetzt! Und doch war es einigen Schülern immer noch zu wenig. Also übertrugen sie ihre Buchstaben-Outlines mit Fineliner aufs Papier und füllten sie mit individuellen Mustern und Farben aus, die mit ihren Bildmotiven korrespondierten. So zog der Schriftzug „Jesus jagt jeden Januar Jaguare“ (Madleen Th., 8c, s. Bild) dank seinen raffinierten Jaguar-Flecken alle Blicke auf sich.


Übungsblatt mit Schriftbeispielen zum kostenlosen Herunterladen

Schriftarten_Tangian
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PDF herunterladen • 251KB

 

5. Schrift trifft Bild: das Finalisieren


Nach vielen Wochen Konzeptarbeit, Üben und Skizzieren konnten die Schüler endlich alle einzelnen Puzzle-Stückchen ihres Projekts zusammenfügen und auf ihr Bristolkarton übertragen. Danach konnten sie selbst entscheiden, womit sie fortfahren wollten: mit der finalen Ausgestaltung der Schrift oder mit dem Kolorieren der Bilder. Bei den letzteren mussten sie sich auf ein Farbkonzept festlegen: Wie konnten Hell-Dunkel-, Kalt-Warm- und Quantitätskontraste eingesetzt werden, um einzelne Motive zu separieren, ihre Lesbarkeit zu erhöhen und der Gesamtkomposition eine starke Fernwirkung zu verleihen? Einige Schüler probierten verschiedene Farbkonzepte auf ihren iPads aus, indem sie ihre Skizze abfotografierten und sie grob in Farbfelder einteilten. So ließ sich der finale Farbklang besser einschätzen. Mal wieder zeigte sich: Wie analog man im Kunstunterricht auch arbeiten mochte, iPads waren und blieben durchaus nützliche Hilfsmittel.


Schritt für Schritt zu einem fertigen Bild dank einer digitalen Vorskizze, welche das Motiv grob in Farbfelder unterteilt. Noa Mailin K. (8c). Zum Vergrößern anklicken.


Und schließlich konnte das Bild finalisiert und mit Buntstiften geschummert oder schraffiert werden. An jetzt konnte nichts mehr schieflaufen, dachte ich, schließlich befanden wir uns auf der Zielgeraden. Aber nichts dergleichen! Tatsächlich ereignete sich zwei Monate vor den Sommerferien ein Rohrbruch, woraufhin wir den gesamten Kunsttrakt evakuieren mussten. Wochenlang zogen wir fortan als Nomaden von Klassenraum zu Klassenraum, Papierstapeln und Buntstifte im Gepäck. Dabei erwies es sich als Glück im Unglück, dass wir mit Buntstiften und nicht etwa mit Ton oder Acryl arbeiteten. Mit diesem pflegeleichten Medium konnten wir unsere Zelte überall aufschlagen und ohne viel Auf- und Abbau loslegen.

Waren die Bilder farbig vorgeschummert, stellte sich schließlich die letzte Frage: Wie deckend sollte der Farbauftrag erfolgen? Dies war meines Erachtens eine Geschmackssache, also konnte jeder Schüler diese Entscheidung für sich treffen. Einige Bilder blieben semitransparent, die Farben zart und lasierend. Andere haben eine intensive Farbigkeit erhalten. Danach richtete sich auch die Verblendungsmethode, also die Art, wie man die Farben ineinander verschränkte.



Lifehacks to go: Verblenden (Papier-Poren sichtbar) und Burnishing (Papier nicht mehr sichtbar)

Bevor es ans Verblenden geht, muss ein   Verlauf von farbig zu farblos oder von zwei Farben, die ineinander übergehen,   geschummert werden. Danach kann folgendermaßen verblendet werden:
·   durch kräftiger werdendes Auftragen derselben Farben 
·   durch kräftiger werdendes Auftragen verschiedener Farben (Layering / Schichten)
·   mit Hilfe eines weißen Stiftes; dabei wird die Gesamtfarbigkeit heller und pastelliger
·   mit Papier-Estompe
·   mit Splender / Blending Pencil (ca. 5 € bei amazon) / Verblendungs-Marker
·   mit Lösungsmittel, z. B. Zest It (geruchlos) oder Terpentin(-Ersatz) (riecht nach Benzin)
·   mit Baby-Öl
·   bei   Aquarellstiften mit Wasser usw.
        
Flüssige Verblendungsverfahren verändern die Farbe: Sie wirkt im   Anschluss dunkler und kräftiger.
Die Flüssigkeit wird mit einem weichen, breiten Pinsel (immer wieder auswaschen!) oder mit Wattestäbchen   (immer wieder wechseln!) aufgetragen. Es sollte von Hell zu Dunkel gearbeitet   werden. 
Achtung:   Alle verwendeten Materialien sollten vorher auf einem separaten Blatt   getestet werden!

Oben: Diyana K. (9b), Detail; unten: Maria B. (9c): "Ominöse Offiziere observieren Oma."


Fazit


Wie dieser Bericht deutlich macht, war es ein langer Weg, bis die ABC-Bilder fertig waren. Insgesamt hat das Projekt fast das gesamte Halbjahr beansprucht. Ein halbes Jahr?! Das mag im ersten Moment etwas ernüchternd klingen. Wer hat schon so viel Zeit für ein einziges Projekt? Andererseits war es eigentlich nicht ein, sondern ganz viele Projekte: In diesem einem halben Jahr haben uns mit dem plastischen Schraffieren beschäftigt, Buntstifte in ihrer ganzen Vielfalt erprobt, nebenbei die Farbenlehre aufgefrischt, Typografie und Layout behandelt, mit Finelinern gearbeitet, das Thema Illustration vertieft, Surrealismus kennengelernt, Kompositionsprinzipien besprochen und uns auch noch im kreativen Schreiben geübt. Dabei konnte ich mehrere Zwischenschritte benoten, den Schülern immer wieder Feedback zu ihren aktuellen Projektstand geben und so alle einzelnen Arbeitsschritte gebührend honorieren: von der Schriftübung über die Vorskizzen bis hin zur finalen Schrift- und Bildumsetzung.

Darüber hinaus zeigt diese ABC-Aufgabe im Kleinen, was Kunstunterricht im Großen ist: kreative, eigenverantwortliche und sehr individuelle Projektarbeit, wie sie wohl in keinem anderen Fach so exzessiv betrieben werden kann, geschweige denn über einen so langen Zeitraum. Und dabei sind Kreativität, Eigenverantwortlichkeit und nicht zuletzt gutes Zeitmanagement in jedem Berufsfeld enorm wichtig. So leistet das Fach Kunst auch zur Entwicklung dieser Schlüsselfertigkeiten einen wichtigen Beitrag.


Zum Vergrößern anklicken: Selin-Deva C. (9b): "Zebra zeichnet Ziegen"; Leonie V. (9c): "Kiffende Krokodile knutschen kriminelle Kanzler"; Juliane P. (8c): "Krimineller Klaus klaut Kohle"; Hermine M. (9b): "Nilpferd niest Neonfarbe"; Katharina M. (9c): "Tot trotz tausend Tabletten"; Lilly B. (9c): "Quakfrösche quaken Quallen"; Liv W. (9b): "Ärgerliche Äpfel ärgern Ägypten"; Somaya S. (9b): "Spiedermen schleudert Spinnennetz"; Mert Yemen A. (9c): "Rote Roboter rasieren Rentiere"; Luzie N. (8c): "Marie malt Monde mit Magie".



... und weil es so schön ist: eine Kleine Sammlung an Details und Vorskizzen (zum Vergrößern anklicken)



 

6. Tipps und Links

6.1. Impulse und Unterrichtseinstiege


Um auf den Humorpotenzial eines Alphabets zu sensibilisieren, kann ein Einstieg über ein Impuls-Video nützlich sein. Hier zwei m. E. besonders gut geeignete Beispiele:




6.2. ABC-Bilderbücher


Denkbar ist auch ein Einstieg über ABC-Bücher, wobei von alten, traditionellen Erstleser-Werken über spielerisch-didaktischen ABC-Bilderbücher bis hin zu modernen, teils recht abstrakten ABC-Kunstbüchern oder auch Kunstwerken mit Typographie-Elementen (zum Beispiel "LOVE" von Robert Indiana) alles denkbar ist. Hier eine kleine Auswahl.


6.3. Empfehlenswerte Buntstift-Tutorials: eine kleine Linksammlung


6.3.1. Verblenden für Anfänger



6.3.2. Verblendungs-Tutorials (auf Englisch); zum Tutorial hier klicken.




6.3.3. Meines Erachtens etwas hektisch erzählt, aber dafür auf Deutsch und informativ




6.3.4. Schöne Übung als Vertiefung: Äpfel Zeichnen mit Aquarellstiften. Zum PDF bitte hier klicken.


6.3.5. Eine folienbsierte Online-Präsentation zum Thema Buntstifte findet man hier (z. B. zur Vorbereitung eines Referats).


6.3.6. Und last but not least: surrealistische Buntstiftbilder meines eigenen gemischten 11er-12er Kunstkurses, im Distanzunterricht 2020 entstanden. Bitte hier klicken.



6.4. Schriften: kostenfrei und exportierbar

Ein unerschöpflicher Schriftenfundus findet man unter www.fontmeme.com - im Unterrichtskontext eine echte Goldgrube! Alle Schriften lassen sich in Größe, Farbe und Ausrichtung (z. B. als Halbkreis) variieren und (die meisten) kostenlos exportieren, z. B. als JPG. Der reinste Wahnsinn!




6.5. Frau Schrimpf auf YouTube zeigt, wie Schraffieren geht


Falls noch nicht bekannt, unbedingt empfehlenswert: der YouTube-Kanal der Kunstlehrerin Frau Schimpf! Mit hervorragend erklärten Einzelschritten und kostenfreien Arbeitsblätter zum Herunterladen. Im unten verlinkten Video geht es um grundlegende Schraffurtechniken, für Blei- und Buntstifte geeignet:




An dieser Stelle nochmal ein großes Dankeschön an alle Schüler der 8c, 9b und 9c, die im Frühling 2023 an diesem ABC-Projekt partizipiert haben. Euer Arbeitseinsatz war phänomenal - und die Ergebnisse sprechen für sich. Danke fürs Mitmachen! Auch bei der Fachzeitschrift "Kunst + Unterricht" und insbesondere bei Prof. Nicole Berner, die das Themenheft "Buntstifte & Co" (Nr. 477-478, Dezember 2023) redaktionell betreut hat, möchte ich mich abschließend bedanken. Es war mir eine Ehre und Freude, darin eine Kurzfassung dieses Projektberichts zu veröffentlichen. Wer sich für Buntstifttechniken interessiert, wird in dieser "K+U"-Ausgabe noch viele weitere spannende Schulprojekte und Werke zeitgenössischer Künstler finden, welche das so populäre, und doch oft so wenig didaktisierte Medium Bunstift erproben. Auch sehr inspirierend: das beiliegende Heft "Mit Buntstiften zeichnen" mit vielen praktischen Übungen und Platz zum eigenen Experimentieren.




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