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AutorenbildKatia Tangian

Pampe Spezial! Reliefs in Pappmaché

Aktualisiert: 10. Aug.

"Pappmaché? Das ist doch etwas für die Kleinen!" Das Reizwort Pappmaché löst bei vielen Jugendlichen schlimme Erinnerungen aus: an Kleisterklumpen, stachelige Drahtkonstruktionen und Zeitungsschnipsel, die überall kleben bleiben, nur nicht dort, wo sie eigentlich hingehören. Und auch Kunstkollegen werden sich an Pappmaché-Projekte erinnern, die in regelrechte Materialschlachten ausgeartet sind. Zumindest mir ist es in der Vergangenheit öfter so ergangen.


"Die Schwätzerinnen" von Emma P. S. (in Anlehung an "Les causeuses" von Camille Claudel): das Making Of, Schritt für Schritt. Zum Durchblättern bitte scrollen, zum Vergrößern anklicken.



Dabei ist Pappmaché nicht gleich Pappmaché. Während an den Schulen überwiegend die sogenannte Kaschiermethode praktiziert wird, bei welcher Zeitungsstreifen auf eine Unterkonstruktion geklebt werden, meint der Begriff Pappmaché eigentlich Papierpampe, welche vollplastisch verwendet wird.

Nicht umsonst heißt dieses Material im Englischen Paperclay*, Papierton also. Doch anders als Ton muss Pappmaché nicht erst gebrannt werden. Nach dem Austrocknen ist es fertig oder kann weiterbearbeitet werden: bemalt, beklebt, beschliffen, zersägt oder zu einer Assemblage ausgebaut – das „gekaute Papier“ (franz. Papiermaché) ist nun mal ein Multitalent.


*Der Begriff Paperclay wird teils synonymhaft mit Pappmaché verwendet, teils als eine papierbasierte Modelliermasse, jedoch mit einem hohen Tonanteil. Zur Recherche auf englischsprachigen Seiten eignet sich der Begriff allemal.


Beidhändiges Arbeiten macht glücklich!



Dazu ist Pappmaché sehr günstig - vor allem, wenn man auf geschreddertes Altpapier zurückgreifen kann. Wie in unserem Fall: Beim Auspacken einer Gerstäcker-Bestellung fielen uns Polsterkissen in die Hände, "umweltfreundlich gefüllt mit unseren Altpapieren und Kartonnagen." Offenbar hat Gerstäcker seine Logistik inzwischen auf ökologische Materialien umgestellt. Das spielte meinem 11er Kurs nun in die Karten, hatte er sich doch erst kürzlich gewünscht, mal wieder etwas „mit beiden Händen“ zu gestalten.


Tipp: Neben Kartonpulpe aus Polsterkissen lassen sich auch andere Papierprodukte zu Pappmaché verarbeiten: geschreddertes Papier aus dem Aktenvernichter, Zeitungspapier, Eierkartons und vieles mehr.

Andreea V. beim Colorieren ihres Reliefs



Nun sollte es also eine Pappmaché-Plastik werden, Upcycling at his best! Allerdings war der geschredderte Karton aus den Polsterkissen recht grob und schwer. Filigranes Arbeiten war damit nicht möglich, eine freistehende Plastik auch nur bedingt. Ein weiterer Zufall lieferte schließlich den entscheidenden Impuls: Um den Jahreswechsel besuchte ich die Ausstellung „Herausragend!“, welche in der Hamburger Kunsthalle lief. In über 130 Exponaten wurde dort die Geschichte der Gattung Relief nachgezeichnet. Später zeigte ich meinem Elferkurs den Ausstellungskatalog sowie einige weitere Reliefbeispiele aus dem Netz. Nun waren die Würfel gefallen: Reliefs sollten es werden - dafür war das grobe, griffige Material aus den Polsterkissen genau richtig.


Relief-Ausstellung "Herausragend!" in der Hamburger Kunsthalle (13.10.2023-25.02.2024) und im Städel Museum, F/M (24.5.2023–17.9.2023); Ausstellungsexponate: Ernst Ludwig Kirchner: Florian Bätschi mit Schulkindern, 1936; Sophie Taeuber-Arp: Muscheln und Blumen, 1938; Jenny Wiegmann-Mucchi: Akt mit wehendem Haar, 1920er; Christian Daniel Rauch (1777–1857): Friedrich II nach der Schlacht bei Kolin, undatiert




Leider schafften wir es aus Zeitgründen nicht mehr, die Ausstellung in Hamburg gemeinsam zu besuchen. Dafür sahen wir uns ein paar Originale vor Ort an an: einerseits die herkömmlichen Geldmünzen, die der Unterkategorie Flachrelief angehören; andererseits konnten wir uns im Lehrertrakt ein überlebensgroßes Hochrelief aus Sandstein anschauen. Hier konnten die Schüler verschiedene Standpunkte und Blickwinkel ausprobieren, um sich mit der räumlichen Reliefwirkung vertraut zu machen, denn die meisten hatten noch nie zuvor ein Relief bewusst betrachtet, geschweige denn selbst gestaltet.


Dabei sind Reliefs im Schulkontext eigentlich praktikabler als freistehende Plastiken: Dank ihrer flachen Rückseite lassen sie sich gut im Liegen bearbeiten, platzsparend im Trocknungswagen zwischenlagern und nach der Fertigstellung an einer Wand aufhängen, ganz ohne umständlichen Aufbau auf Podesten oder in Vitrinen.


"Selfie" von Katharina G., zum Durchblättern bitte scrollen, zum Vergrößern anklicken.




Relief aus Pappmaché also: Material und Gattung standen schon mal fest. Doch welches Thema sollten wir dabei behandeln? Da die Elftklässler kurz vor den Kurswahlen standen, wollte ich sie fit für die Oberstufe machen, vielleicht sogar für den Kunst-Leistungskurs. Die meisten ihrer Bedenken galten dabei der menschlichen Anatomie. Also schlug ich das Thema „Paare“ vor: einerseits, um den Kerninhalt „Bild des Menschen“ aufzufrischen, und andererseits um genug Raum fürs Spielerisch-Narrative zu lassen. Ob Freunde, Liebende, Streitende oder Kämpfende, alles war möglich – unter der Voraussetzung, dass die modellierten Figuren mindestens im Brustbild, gern auch als Ganzkörperdarstellungen zu sehen waren und ihre Interaktion im Fokus stand.


"Treffen am Baum" von Anna K.


Im Sinne einheitlicher Beurteilungskriterien einigten wir uns im Plenum auf die Gattung Hochrelief, welche neben starker Höhenunterschiede auch Freistellungen und Hinterschneidungen aufweisen sollte, also Partien, die weit aus der Fläche herausragen, beziehungsweise Hohlräume bilden. Extremitäten wie freischwebende Arme oder Beine boten sich für Freistellungen besonders an. Aber auch Kleidungsstücke, Baumäste und andere Umraumelemente ließen sich aus der Fläche plastisch herausarbeiten, um die Tiefenwirkung des Reliefs zu verstärken.


Schon bei ihren Skizzen sollten sich die Jugendlichen überlegen, welche Partien höher oder ganz freigestellt werden sollten. Diese sollten sie auf ihren Entwürfen farblich markieren. Einige Schüler zeichneten frei, andere nach Fundbildern aus dem Internet, wieder andere fertigten Fotos an, für welche ihre Freunde Modell standen. Beim Skizzieren erprobten sie verschiedene Blickwinkel, Zuschnitte sowie Körperhaltungen, denn bei unserem Paarthema kam es auf jede Handbewegung, jeden Blick an. Und so suchen einige Figuren den Blickkontakt zueinander, andere wenden sich voneinander ab, umarmen sich, schubsen sich oder halten sich zärtlich bei den Händen.


Skizzen von Sven B., Andreea V. (nach Berninis "Apollo und Daphne"), Charlie S., Angelina B., Jesper C., Jenny T., Charlie S.; für Gesamtansicht anklicken



Und dann ging es ans Eingemachte: Papierpampe musste angesetzt werden, große Mengen davon! Nach anfänglichen Berührungsängsten – „Iiih, ist es glibberig! Das klebt aber wie verrückt! Und das Geräusch, das es macht!“ – steckten alle bis zum Ellenbogen drin, in der Pampe. Vergessen waren die gerade erst gebügelten Blusen und die frisch lackierten Nägel: Die Freude am plastischen Gestalten überwog. Einige Schüler fühlten sich an Schlammschlachten von früher erinnert, andere mussten ans weihnachtliche Plätzchenbacken denken. Wie auch immer: Wochenlang kneteten und modellierten sie faserige Pampe. In dieser Zeit fehlte so gut wie keiner. Besonders in der heißen Klausurphase vor den Sommerferien schienen unsere Modellierstunden einen willkommenen Ausgleich zu den kopflastigen Fächern zu bieten.


Im Folgenden werden unsere einzelnen Arbeitsschritte kursorisch nachgezeichnet. Das Experiment Pappmaché lohnt sich! Vielleicht kann unser Projekt auch andere Jugendliche davon überzeugen und für dieses so vielfältige Medium begeistern.


"Das Medaillon" von Jenny T.; zum Vergrößern anklicken




1. Pappmaché-Herstellung


Die klassische Kaschiermethode kennt jeder: Man rührt Tapetenkleister an, fertigt eine Drahtkonstruktion an und schichtet drauf Zeitungspapier. Doch weil das Polsterkissen-Material grob, kraus und zum Schichten vollkommen ungeeignet war, wollte ich damit vollplastisch arbeiten. Also ging ich als erstes auf Rezeptsuche. Nach langer Internetrecherche stieß ich schließlich auf die Seite von Martina Reis. In ihren Büchern und YouTube-Tutorials erklärt die Künstlerin fachkundig und anschaulich, wie man aus Klopapier, Kleister und Kreide eine modellierfähige Masse anrühren kann.


Literaturtipp. Zum Pappmaché-Buch von Martina Reis hier klicken



Weitere Recherche ergab, dass Martina Reis einen Showroom in Stadthagen, Niedersachsen, hatte. Nun wurde ich hellhörig, denn dort befindet sich auch meine Schule. Nach ein paar weiteren Klicks fiel endlich der Groschen: Die in Schaumburg ansässige Künstlerin hatte mehrere Kinder an unserer Schule, deswegen war mir ihr Name gleich so bekannt vorgekommen! Ich schrieb Martina an, sie antwortete mir prompt und seitdem haben wir uns immer wieder über das Herstellen von Pappmaché ausgetauscht. Ihre vielen Tipps sowie ihr Buch „Fasziniert von Pappmaché – Technik und figuratives Gestalten“ (5. Auflage 2024) haben wesentlich zum Gelingen unseres Relief-Projekts beigetragen und seien daher wärmstens empfohlen. Mehr dazu unter www.martinareis.de




 

2. Einstieg ins Thema


Um Schüler an Pappmaché heranzuführen, könnte man ihnen einige historische Werke aus diesem Material zeigen, etwa venezianische Masken, Puppen, Marionetten, mexikanische Piñata u. v. m.. Man könnte sie auch auf Pinterest und Co nach Begriffen wie Pappmaché und Paperclay suchen lassen. Das Bildangebot ist riesig! Auch das Thema Relief ließe sich gut didaktisieren, nicht zuletzt mit Hilfe des oben schon erwähnten „Herausragend!“-Katalogs der Hamburger Kunsthalle.



Doch um Schüler für Pappmaché im Allgemeinen und für Reliefs im Besonderen zu begeistern, benötigt man nicht zwingend einen externen Impuls, denn das Material spricht eigentlich für sich. Es ist einfach herzustellen, spottbillig, ökologisch vertretbar, in seiner Konsistenz und Farbe steuerbar, es hält sich im Kühlschrank wochenlang frisch und kann nach dem Trocknen weiterverarbeitet werden. Die Einsatzmöglichkeiten des Pappmachés sind schier unbegrenzt. Bevor man also noch mehr Zeit pampenlos verstreichen lässt, sollte man sofort der Herstellung von Pappmaché beginnen. Und das geht so:

 

"Fernsehabend" von Sven B., zum Vergrößern anklicken



2. Pappmaché, Schritt für Schritt

2.1. Pappmaché-Rezeptur


Für 20-30 Reliefs (bis DinA3 groß) benötigt man eine entsprechende Anzahl an Untergrundplatten (s. 2.2.), etwa 10 Liter grobes Pappmaché und ggf. noch weitere 2-3 Liter feines Pappmaché zum Überkleistern (s. 2.5.).

Um die Konsistenz der Pampe besser steuern zu können, empfiehlt es sich, den Kleister in einem kleineren Gefäß anzurühren. Erst nach und nach sollte man ihn in einen größeren Eimer geben, zusammen mit tassengroßen Portionen Papierschnipseln. Denn wenn man alles gleich zusammenkippt, lässt sich die schwere Masse kaum umrühren.


Tipp: Die Pampe auf mehrere kleine Eimer oder Schüsseln aufteilen und das Kneten Schülern überlassen.

All you need is: Papier + Kleister


 

2.2. Untergrundplatten


Um ein Relief anzufertigen, benötigt man eine dicke, stabile Unterlage, die sich nicht verwellt. Denn beim Trocknen zieht sich das Pappmaché zusammen, wodurch eine starke Oberflächenspannung entsteht. Gleichzeitig sollte die Unterlage nicht zu glatt sein, sonst löst sich das Relief beim Trocknen ab, wie es uns mit einigen Kunststoffplatten ergangen ist.

Bewährt haben sich massive Holzplatten, beispielsweise Schneidebretter, oder Styropor ab 5 cm Stärke. Aber auch dicke Pappen sind zu empfehlen, wenn man sich damit arrangieren kann, dass sie sich beim Trocknen leicht zusammenrollen. Dafür ist Pappe günstig bis kostenlos zu bekommen, ist umweltfreundlich und kann in jede beliebige Form geschnitten werden.  


"Im Stadion" von Finn V.; das Format spielt auf die Laufbahn an; zum Vergrößern anklicken



 

2.3. Stützen und Tragekonstruktionen


Die nasse Pampe ist schwer. Zwar lässt sie sich gut schichten, aber wenn man freistehende Formen daraus modellieren möchte, drohen sie beim Trocknen zusammenzufallen. Hier sind Stützen angebracht. Man kann sie aus Holz, dickerem Draht oder anderen Materialien fertigen, sie durch die Untergrundplatte fädeln und rückseitig fixieren, etwa mit Kreppklebeban. Bevor man also mit Pappmaché modelliert, sollte man – mit einem Blick auf die Vorskizzen – eine grobe Unterkonstruktion vorbereiten.

Doch sogar mit Stützen benötigen besonders schwere Formen eine zusätzliche Verstärkung, zum Beispiel aus zusammengeknüllter Zeitung, die man für die Zeit des Trocknens unterschiebt. Sobald das Pappmaché formstabil ist, kann man sie dann wieder entfernen.


Tipp: Damit die Trocknungsstützen nicht am Pappmaché kleben bleiben, kann man sie in Plastik- oder Alufolie einwickeln.

Trocknungshilfen aus Papier von Luise A. und Carolina B.; Drahtstützen von Sven B., Anna K., Finn V. und Meena L. N.



 

2.3. Kleister anrühren


Kleister löst man am besten auf, wenn man ihn direkt ins Wasser einstreut, während es in den Eimer fließt. Dabei sollte das Gemisch kontinuierlich umgerührt werden. Wenn sich später trotzdem Klumpen bilden, kann man zu einem Quirl oder Pürierstab greifen - wobei bei unserem groben Material selbst größere Klumpen kein Problem waren.

Auf ca. 8 Liter Papier- oder Pappschnipsel braucht man etwa 3-5 Liter Kleister, je nach Konsistenz. Kühl gelagert, bleibt die Pampe wochenlang frisch.

Man sollte Kleister mindestens eine halbe Stunde vor dem geplanten Einsatz anmischen, denn selbst der sogenannte Instant-Kleister braucht eine Weile, bis er die festere Konsistenz erreicht, die man zum Modellieren benötigt. Generell sollte Kleister lieber zu fest als zu flüssig angerührt werden, denn verdünnen lässt er sich immer. Außerdem werden sowohl Kleister als auch Pappmaché beim längeren Lagern (idealerweise im Kühlschrank) immer dünnflüssiger. Zum Wiederandicken kann man zwischendurch etwas trockenes Papier dazugeben.


Tipp: Um Schimmel zu vermeiden, sollte man das Pappmaché im Kühlschrank oder in gut gelüfteten Räumen aufbewahren und nie luftdicht verschließen.

Charlie S. beim Modellieren. Wie man sieht, variiert die Konsistenz unserer Pampe von Stunde zu Sunde. Je länger sie stand, desto dünnflüssiger wurde sie. Ob man sie flüssig verarbeitet oder doch lieber mit etwas Papierpulpe wieder andickt, bleibt leztlich jedem selbst überlassen.


Die grobe Basis, erste Schicht: Nico K., Angelina B., Milla T., Andreea V., Carina B., Charlie S.



 

2.4. Pampe Spezial


In ihren Tutorials empfiehlt Martina Reis zwei Extra-Komponenten: Holzleim und Kreidepulver (Calciumcarbonat). Wir haben im Unterricht beides ausprobiert: Mit Holzleim wurde die Pampe ein Stück härter, mit Kreide bekam sie etwas mehr Gripp. Doch bei unserem grob geschredderten Karton (s. oben) waren diese Konsistenznuancen irrelevant. Um erst einmal Volumen aufzubauen, reicht ein Pappe-Kleister-Gemisch vollkommen aus.


Tipp: Beim Trocknen schrumpft Pappmaché zusammen. In der Oberfläche können Risse entstehen, und auch die Form kann sich beim Trocknen verändern. Macht nichts! Zum einen können solche Veränderungen unerwartet reizvoll aussehen, etwa bei erodiert wirkenden Hintergründen. Zum anderen lassen sich unerwünschte Veränderungen korrigieren. Daher sollten für ein Modellierprojekt mit Pappmaché mehrere Wochen mit längeren Trocknungsphasen dazwischen eingeplant werden – bei einem zweistündigen Fach kein Problem.

Wie reizvoll Pappmaché nach dem Trocknen aussehen kann, sieht man an diesem Zwischenerbegnis von Jenny T., die hier einige Stellen mit einer Malspachtel ausbessert.


Unbemalte Reliefs von Milla T., Charlie S., Hanna R., Carina B., Emely B. und Meena L. N.