Im Kunstunterricht des 10. Jahrgangs steht für gewöhnlich Anatomie auf dem Lehrplan. Oft wird dieses Thema mit Hilfe von Gliederpuppen eingeführt, welche die komplexe menschliche Anatomie strukturieren und vorentlasten. Doch diesmal wollte ich etwas Neues ausprobieren. Also habe ich unseren neuen Klassensatz Gliederpuppen zum Anlass genommen, um in Analogie dazu bewegliche und voll funktionsfähige Marionetten zu gestalten. Marionetten! Im Kunstunterricht! Das war vielleicht ein Spaß!
Viele assoziieren Marionetten mit Kleinkindern, dabei eignet sich das Thema meines Erachtens für jede Altersgruppe, vorausgesetzt, der ‚Content‘ stimmt. Also habe ich die Schüler meiner 10a und der 10c in Gruppen à vier bis fünf Personen eingeteilt und sie ihr Gruppenthema selbst auswählen lassen. Denn mir war klar, dass ein spannendes, von allen Beteiligten abgesegnetes Gruppenthema die Motivation der Einzelnen extrem steigern würde.
Teamarbeit von Karolina B. und Liliia R., 10a; Claudia und Dirk aus "Das perfekte Dinner" von Ludovika v. B. und Ida B., 10 a; C-3PO von Liv U., 10 a; Kummer aus "Alles steht Kopf" von Lilly B., 10 c; Harry-Potter-Gruppe der 10 a: Anas N. (Snape), Liliia R. und Karolina B. (...), Dobby von Iman T. und Voldemort von Elisabeth T.; Dave Vader von Sofie G., 10a
Mit viel Enthusiasmus machten sich die Jugendlichen ans Brainstorming. Harry Potter, Star Wars, Avengers, Türkisch für Anfänger, Alles steht Kopf, Lego Ninjago oder Das perfekte Dinner: Die Unterhaltungsbranche hatte es den Jugendlichen angetan. Und nach vielen Wochen, nein, Monate harter Arbeit waren unsere Marionetten endlich fertig. Aus Zeitgründen haben wir leider nicht mehr geschafft, sie - wie ursprünglich geplant – zu bespielen. Doch grundsätzlich ließen sich damit kleine Szenen aufführen oder Videos drehen. Damit es bei euch zeitlich besser läuft, werde ich im Folgenden unsere Arbeitsschritte kurz skizzieren. Vielleicht schafft ihr es am Ende doch noch, eure Puppen bestimmungsgerecht tanzen zu lassen.
Star Wars - das Imperium hängt durch: Sofie G. (Dave Vader), Liv U. (C-3PO), Lilly B (Prinzessin Leia), Lucian S. (Obi Wan Kenobi) und Denisa P. (Rey Skywalker), 10 a
1. Einführung in die menschliche Anatomie
Meine Einführung in das Thema Anatomie setzte bei Adam und Eva der Kunstgeschichte an, nämlich dem vitruvianischen Menschen von Leonardo da Vinci. Beim Abgleichen mit dem eigenen Körper staunten die Schüler nicht schlecht: Wie, meine ausgebreiteten Arme sind so lang wie meine Körpergröße? Und meine Ohren genauso lang wie meine Nase? Und mein Fuß ist genauso so riesig wie mein Unterarm? Niemals!
Um diese schockierenden Erkenntnisse zu verdauen, ließ ich die Zehntklässler zwei Doppelstunden lang nach Anatomie-Vorlagen zeichnen. Dabei sollten sie auf das Einhalten der Proportionen und der Symmetrien achten - auch beim Marionettenbau entscheidend.
In zwei weiteren Doppelstunden zeichneten die Jugendlichen nach Gliederpuppen. Der Fokus dieser Übung lag dabei einerseits auf perspektivischen Verkürzungen, andererseits auf dem plastischen Schraffieren. Außerdem konnten sich die Schüler beim Aufstellen ihrer Gliederpuppen mit deren Bewegungsapparat vertraut machen, welches dem ihrer Marionetten zugrunde liegen sollte.
oben: Gliederpuppen-Zeichnung von Sarah H., 10c; unten: Fotoshooting
Ein paar Nahaufnahmen; Gesamtaufnahmen weiter unten
2. Marionetten-Konzepte
Im Anschluss an die Zeichenübungen ging es ans Konzipieren: Die geplanten Marionetten sollten plastisch skizziert werden. Jeder Schüler sollte die markantesten Merkmale seiner Figur in Stichpunkten sowie zeichnerisch festhalten und im Aufgabenmodul hochladen. Darauf bekam er von mir ein individuelles Feedback und eine kleine Teilnote. Sowohl sein Konzept als auch mein Feedback blieben im Aufgabenmodul abrufbar. So konnten sie im Folgenden als Arbeitsgrundlage dienen.
Mindmaps und Skizzen von Mert A., Lilly B. (10 c); Liv U., Elisabeth T., Iman T., Nicole B., Thuy An P. (10 a); Chantal P., Leonie V. und Irfan K. (10 c)
3. Material: lufttrocknende Modelliermasse
Eine Gliederpuppe als Marionettenvorlage zu benutzen erwies sich als ausgesprochen praktisch. Die Schüler konnten sich an ihrer Größe (ca. 30 cm) sowie ihren Scharnierstellen orientieren. Außerdem konnten sie ihre Puppeneinzelteile gegen die der Gliederpuppe halten und so die Proportionen abgleichen.
Deutlich komplizierter fiel die Wahl des Materials aus. Woraus sollten wir unsere Marionetten bauen? Das Material durfte nicht viel kosten, nicht viel wiegen und dabei sehr präzise formbar sein. Ursprünglich hatte ich an Ton gedacht, da wir dieses Material ohnehin vorrätig hatten und es sich intuitiv, ohne Spezialwerkzeug (wie im Fall von Holz) bearbeiten ließ.
Andererseits war nicht gebrannter Ton bekanntlich sehr bruchanfällig, klobig und schwer – ungünstige Eigenschaften für eine funktionale Marionette. Letztendlich entschied ich mich für lufttrocknende Modelliermasse: Sie weist ähnliche Eigenschaften wie Ton auf, härtet jedoch ohne Brennofen aus, ihre glatte weiße Oberfläche lässt sich gut bemalen, und selbst wenn Modelliermasse etwas teurer als Ton ist, hält sich der Materialverbrauch bei kleinen, feingliedrigen Marionetten insgesamt in Grenzen.
Lasst die Puppen tanzen! Dirk vom "Perfekten Dinner" (Ida B.), "Türkisch für Anfänger" (Linus M.), Dave Vader - mit einem Leuchtstab! (Sofie G.), Marvel-Helden: Captain America und Spiderman, Arm in Arm! (Leander G. und Thuy An P.) , Black Widow und Captain America (Nicole B. und Thuy An P.); dazwischen die Inszenierung von Karolina B. und Liliia R.
4. Materialliste
Unten habe ich für euch eine kommentierte Materialliste zusammengestellt. Ich habe sie mit Seiten verlinkt, wo man die von uns benutzten oder zumindest sehr ähnliche Artikel schnell finden kann. Dies ist keine Werbung, da ich keine Provision dafür kassiere (ich weiß, dass ich irgend etwas falsch mache, aber ich komme jetzt nicht drauf ... ). Mit dieser Liste könnt ihr schnell ermitteln, was ihr schon vorrätig habt, was ihr noch braucht und welches Budget ihr dafür benötigt.
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5. Gut abgehängt: das Trocknen
In Analogie zu Gliederpuppen sollten unsere Marionetten aus mehreren vollbeweglichen Segmenten bestehen. Bei den meisten Marionetten wurden es am Ende 15 Einzelteile: drei Segmente pro Arm (Hand, Unterarm, Oberarm); drei Segmente pro Bein (Fuß, Unterschenkel, Oberschenkel), und schließlich Kopf und Rumpf, die größten und schwersten Marionetten-Teile.
Um zu verhindern, dass etwas von diesen vielen Puzzleteilen verloren geht, haben die Schüler sie in Küchenrolle eingewickelt, namentlich beschriftet und in Gruppenkartons aufbewahrt. Darin konnte die Modelliermasse bis zur nächsten Unterrichtsstunde wunderbar trocknen.
Bei großen, schweren Marionettenteilen wie Kopf oder Rumpf mussten wir allerdings anders vorgehen, denn hier bestand die Gefahr, dass sie sich beim Trocknen platt liegen. Daher wurden diese Teile erst aushöhlt, dann mit geschreddertem Papier o. ä. ausgefüllt und schließlich an Drahtösen (s. unten) zum Trocknen aufgehängt.
6. Draht als Skelett und Bindeelement
Klassische Marionetten werden oft aus Holz gefertigt – unter anderem, weil man in Holz Metallösen hineindrehen kann, die später zum Verbinden von Einzelteilen und zum Befestigen von Strippen dienen. Doch bei unseren Marionetten aus Modelliermasse war kein nachträgliches Schrauben möglich. Also mussten die Verbindungsösen noch VOR dem Modellieren in das Material eingearbeitet werden.
Zu diesem Zweck ließ ich die Schüler eine Art Drahtskelett bauen: Pro Marionttensegment wurde ein Stück Draht mehrfach um seine Achse gedreht, zur besseren Haftung mit Kreppband umwickelt und an beiden Enden mit einer Schlinge versehen. Während das Drahtmittelstück mit Modelliermasse ummantelt wurde, blieben die Schlingen draußen und dienten später als Verbindungsösen. Weil diese nicht einzeln in die Marionettenteile hineingeschraubt wurden, sondern per Drahtmittelstück zusammenhingen, konnten sie nach dem Trocknen nicht mehr herausfallen und bildeten ein stabiles Marionettengerüst.
Etwas anders musste die Tragekonstruktion des Rumpfes konstruiert werden, denn sie benötigte insgesamt fünf außenliegenden Schlingen: unten zwei, zur Befestigung der Beine, und oben drei, für die Arme und den Kopf. Doch solange diese Schlingen an mehreren Drahtstücken hingen, die im Inneren des Rumpfs verbundenen waren, war auch diese Konstruktion stabil und belastbar.
Das Arbeiten an den fummeligen Drahtkonstruktionen für die vielen Bein- und Armteile, wozu uns lediglich die schwergängigen, rostigen Schulzangen zur Verfügung standen, erwies sich rückblickend als der zweitaufwändigste Arbeitsschritt. Über vier Doppelstunden lang haben die Schüler an ihren Kleinteilen getüftelt. Dagegen waren Kopf und Rumpf vergleichsweise schnell gemacht: Die meisten hatte dafür gerade mal eine Doppelstunde gebraucht.
7. Der letzte Schliff: Stoff und Farbe
Als alles fertig und getrocknet waren – wir schrieben inzwischen Mai –, wurden die Marionetten bemalt und mit Draht zu vollständigen Puppen montiert. Beim Bemalen mussten nur die sichtbaren Partien berücksichtigt werden, in den meisten Fällen nur Hände und Gesichter. Der Rest der Puppe sollte ja unter der Kleidung verschwinden. Doch am Ende des Schuljahres blieben uns nur noch zwei Doppelstunden Zeit, um Kleidungsstücke und Accessoires aus mitgebrachten Stoffresten und Fundstücken zu nähen oder zu kleben. Daher konnten nicht alle Kostüme fertiggestellt werden, schon gar nicht zur vollen Zufriedenheit aller Beteiligten.
Einige Puppen kamen auch ohne Kostüme aus, etwa Liv U.s Roboter C-3PO aus Star Wars: Diesen hatte Liv schon beim Modellieren so geformt, dass die einzelnen Puppenglieder wie Roboterteile aussahen. Im Anschluss mussten sie nur noch angemalt werden.
Showdown! Die finale Materialschlacht
Kleidung macht Leute - und Puppen: der letzte Schliff
8. Fazit
Leider blieb uns am Schuljahresende zu wenig Zeit für die Finalisierung und um die fertigen Marionetten zu bespielen. Nur wenige Schülergruppen hatten es geschafft, ihre Puppen auf Strippen zu montieren und sie als thematische Gruppe zu fotografieren, geschweige denn Videos damit zu drehen. Schade! Falls jemand sich also an einem ähnlichen Projekt versuchen möchte, sollte er damit frühzeitig beginnen, am besten gleich am Anfang des Schuljahres und nicht so wie wir im zweiten Halbjahr. So würde er genug Zeit haben, um angemessen ins Detail zu gehen. Bekanntlich sind die letzten 20 Prozent eines Projekts seine eigentlichen 80 Prozent, denn ihnen ist der WOW-Effekt zu verdanken.
Tipp: Die im Kunstunterricht angefertigten Marionetten lassen sich auch fachübergreifend einsetzen, etwa im Darstellendes-Spiel-, Deutsch-, DaZ-, oder Fremdsprachenunterricht.
9. Fotoshooting der Schülergruppen vor ihren eigenen Kulissenbildern
Harry-Potter-Gruppe, 10 a (Elisabeth T. und Iman T.)