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Aquarell: die unerträgliche Leichtigkeit des Malens

Aktualisiert: 4. Sept. 2022


Hand aufs Herz: Magst du Wasserfarbe? Nein? Überrascht mich ehrlich gesagt nicht. Und ich weiß auch, warum nicht. Stichwort Grundschule: Voller Vorfreude klappst du deinen Farbkasten auf, um deine tolle Vorzeichnung im neuen Malblock auszumalen. Und schon nimmt das Schicksal seinen Lauf: Der dicke Borstenpinsel malt über die Linie, haart dabei wie verrückt, die Farbe verläuft, das Papier wellt sich, in den Kuhlen bilden sich Pfützen, Pinselhaare schwimmen darin; als du versuchst, dein Bild aus dem aufgeweichten Malblock herauszulösen, reißt es entzwei, und wenn du besonders viel Pech hast, kippt dabei auch noch dein Wasserbecher um.


So oder so ähnlich sind wohl viele erste Aquarellversuche verlaufen. Kein Wunder, dass du beim Reizwort "Wasserfarbe" immer noch zusammenzuckst. Doch so muss es nicht bleiben! Mit ein paar Tipps und Tricks lässt sich der Endgegner Aquarell leicht bezwingen. Dafür brauchst du weder exklusive Materialien, noch musst du "künstlerisch begabt" sein (was auch immer das sein soll). Es reichen ein gewöhnlicher Wasserfarbenkasten und die Zuversicht, dass du es mit der richtigen Methode und mit ein bisschen Übung schaffen wirst. Alles andere ergibt sich von allein. Wie bei meinen Acht- und Elftklässlern, die im letzten Halbjahr ganz ohne Aquarellerfahrung und mit ganz gewöhnlichen Materialien wunderschöne Herbstlandschaften aquarelliert haben. Ihre Bilder werden uns im Folgenden begleiten und alle Schritte dieses Tutorials illustrieren.


Oben: Somaya S. beim Aquarellieren; unten: Ella S. (beide 8. Klasse)



 

1. Was du zum Aquarellieren brauchst: eine kleine #Materialkunde


Wenn du das richtige Aquarell-Equipment bereits besitzt oder dich das Thema Material nicht interessiert und du stattdessen lieber gleich mit dem Malen beginnen möchtest, klicke auf diesen grünen Button:



Wenn du dich aber zuerst über das benötigte Material informieren möchtest, bleibe einfach dran. Ich glaube, dass es dich weiterbringen wird. Schließlich passieren die meisten Malunfälle nicht erst beim Malen, sondern schon bei der Materialwahl. Vermutlich wird auch dein Aquarell-Trauma darauf zurückzuführen sein, beurteile es selbst.


1.1. Epic Fail Nr. 1: das falsch gewählte Papier



Von wegen, Papier sei geduldig! Stattdessen ist es extrem empfindlich, launisch und nachtragend. Wenn es nicht haargenau auf die gewählte Technik abgestimmt ist, kann es das gesamte Malprojekt torpedieren. Denn wie beim Hausbau steht und fällt dein Projekt mit dem Fundament. Jede künstlerische Technik erfordert einen geeigneten Träger. Beim Zeichnen mit Filzstift zum Beispiel sollte das Papier glatt und beschichtet sein, sonst franst die Filzstift-Linie aus und läuft in die Papierfasern aus. Bei einer Bleistiftzeichnung ist es vom Vorteil, wenn das Papier rau und porös ist, damit das Grafit darauf haften bleibt.


handgeschöpftes Moulin-Papier, 1.200 g/qm

Beim Aquarellieren wiederum müssen gleich drei Papiereigenschaften stimmen: Körnung, Papierpressung und -gewicht. Zum einen sollte die Papieroberfläche eine mittlere bis grobe Körnung aufweisen, damit der Pinsel etwas Grip hat und das Wasser auf der glatten Oberfläche keine großen Pfützen bildet. Zum anderen sollte das Papier nicht zu flach gepresst, sondern etwas voluminöser und fluffiger ausfallen. Nur so kann es das überschüssige Wasser gleichmäßig aufnehmen und wie ein Schwamm von der Oberfläche in das Papierinnere ableiten. Und schließlich trägt das hohe Papiergewicht dazu bei, dass das Blatt trotz nasser Maltechnik weitgehend plan bleibt und seine Form behält.

Weil das Papiergewicht ein wichtiger Qualitätsindikator ist, wird es auf der Verpackung in Gramm pro Quadratmeter angegeben. Ist auf deinem Schulblock nichts vermerkt, gehe davon aus, dass es sich um das Standardgewicht des Druckerpapiers handelt, welches bei 80 g/qm liegt. Spätestens jetzt sollte klar sein, warum deine Malversuche bisher so holperig verlaufen sind: Dein Schulblock war zu glatt, zu flachgepresst und zu dünn - kurzum, er war für Nasstechniken vollkommen ungeeignet. Dafür wären mindestens 120 g/qm Gewicht erforderlich gewesen, oder noch besser 200 bis 300 g/qm.



Andererseits sollte man von einem Schulblock nicht allzu viel erwarten. Schließlich muss er als Allrounder für alle Kunsttechniken herhalten. Außerdem müssen Schulmaterialien für alle Schüler erschwinglich bleiben, wohingegen das hochwertige #Aquarellpapier schnell ins Geld geht. So kostet das handgeschöpfte Moulin (Bild oben) mit seinen 1.200 g/qm (!) Gewicht und mit 98 x 68 cm Bogengröße knapp 20 Euro - pro Blatt. Doch so viel Luxus muss gar nicht sein: Das 300 g/qm Papier von iArt (Gerstaecker) oder der 300g/qm Aquarellblock von Boesner tun es auch, Kostenfaktor etwa 50 Cent pro Din A3-Blatt. Du kannst dein Papier online bestellen, aber noch besser wäre es, wenn du bei deinem heimischen Kunst- und Schreibwarenladen vorbeigehst. Dort kannst du die Papierqualität eigenhändig prüfen, und gleichzeitig unterstützt du den lokalen Handel.


Oben: Marie B.; unten: Hannes W. (beide 11. Klasse). Alle Schüler haben auf 40 x 30 cm großen, 200 g/qm schweren Aquarellpapier-Bögen gearbeitet.


Neben losen Aquarellbögen und einseitig verleimten Malblöcken gibt es Aquarellblöcke, die rundum verleimt sind - bis auf eine kleine Ecke, an der du später den Cutter ansetzen kannst, um dein fertiges Bild aus dem Block zu lösen. Diese Rundum-Verleimung sorgt dafür, dass sich dein Bild beim Trocknen wieder glattzieht. Daher darfst du es erst nach der Fertigstellung aus dem Block herausnehmen. Alternativ kannst du ein loses Aquarellblatt mit Krepp- oder Nassband auf ein Brett spannen (s. unten). Auch hier darf die Verklebung erst nach der Fertigstellung entfernt werden. Das ist nach wie vor die effektivste Methode, um die Bildung von Wellen und Farbpfützen vorzubeugen.


Weitere Infos zum Thema Aquarellpapier für den Hobby- und Schuleinsatz findest du hier.



Tipp #Aquarellpapier: In der Schulpraxis hat sich bewährt, das Aquarellpapier als Klassensatz zu bestellen. So kann garantiert werden, dass alle dieselben Ausgangsbedingungen haben, dass das Papier für die vorgesehene Technik geeignet ist und dass die gleichformatigen Werke auf gleichfarbigem Papierweiß später miteinander harmonieren - zum Beispiel im Rahmen einer Klassenausstellung. Wenn man bedenkt, wieviel von der Papierwahl abhängt und dass man bei einem zweistündigen Fach ein viertel bis ein halbes Jahr an einem Aquarell arbeitet, sind die ca. 50 Cent pro Schüler gut investiert!


1.2. Epic Fail Nr. 2: der falsch gewählte Pinsel


Mein privates Aquarell-Equipment: zu selten

genutzt, dafür umso inspirierender

Nochmals zur Erinnerung: Papier schlägt Pinsel und sogar Farbe. Nichts ist beim Aquarellieren so wichtig wie das passend gewählte Papier (s. oben). Die Wahl des Pinsels muss sich dahinter anstellen. Und doch will auch sie gut überlegt werden, zumal man für jedes Malprojekt mehrere Pinsel benötigt. Fürs Erste sollten drei Pinsel reichen: ein dicker für größere Flächen, ein dünner für Feinheiten und ein mittelgroßer für alles dazwischen. Was dick und dünn ist, hängt dabei vom Papierformat ab. Was für eine Postkarten-Größe ein dicker Pinsel ist, wirkt auf DinA3 eher dünn. Mit der Zeit wirst du eine Pinselsammlung haben, um alle gewünschten Formate mühelos zu bewältigen.


Best of both worlds:

Da Vinci-Set von boesner

Wenn es um die Aquarellpinsel-Art geht, scheiden sich die Geister. Die einen schwören auf Echthaar, die anderen auf Kunsthaar. Die einen mögen ihre Pinsel rund gebunden, die anderen - flach gepresst. Traditionell werden zum Aquarellieren Rundpinsel aus Marderhaar verwendet. Das weiche, biegsame Echthaar hinterlässt beim Malen keine Spuren - im Gegensatz zum Borstenpinsel, dessen strichiger Duktus auch nach dem Trocknen sichtbar bleibt. Und weil ein Rundpinsel zur Spitze hin schmaler wird, kannst du damit unterschiedliche Strichstärken erzeugen: dünn, wenn du die Pinselspitze nur leicht aufsetzt; dick, wenn du darauf etwas mehr Druck ausübst.

Bei einem flach gebundenen Pinsel dagegen kannst du entweder mit der breiten oder mit der schmalen Pinselseite malen. Somit stehen dir nur zwei Strichstärken zur Verfügung. Und während der Rundpinsel die flüssige Farbe wie eine Pipette aufsaugt und beim Malen je nach Druck dosiert abgibt, funktioniert der Flachpinsel eher nach dem Prinzip einer Spachtel. Daher wird er vorzugsweise bei festere Farbkonsistenzen gewählt, etwa bei Acryl oder Öl.


11. Klasse beim Aquarellieren


Nun könnte man daraus den Schluss ziehen, dass sich ein rundgebundener Echthaarpinsel am besten zum Aquarellieren eignet. Theoretisch stimmt es auch. Nur schade, dass dein Echthaarpinsel nichts davon weiß. Sobald du ihn nämlich ins Wasser tauchst, spreizt er alle seine Haare von sich, eine kontrollierte Strichführung ist nicht mehr möglich, du tropfst und haarst dein Bild voll und fühlst dich dabei in deine dunkelste Grundschulzeit zurückkatapultiert. Stimmt?


Victoria S., 11. Klasse


Meine liebsten Pinsel; von den dünneren habe ich immer

mehrere da, weil sie besonders schnell die Form verlieren

Nein, es liegt nicht an dir. Willst du wissen, warum du deinen Echthaarpinsel nicht in den Griff bekommst? Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen: Zum einen könnte dein Pinsel zu alt sein. In der Vergangenheit wurde er vermutlich wiederholt zum schaumigen Anrühren der Farbe missbraucht (immer falsch, s. #quatschmitsauce1), danach mit einem Geschirrtuch trockengerieben und dann auch noch kopfüber in einen Becher gesteckt. Wie würdest du nach einer solchen Behandlung aussehen? Eben. Fakt ist: Ein Pinsel ist und bleibt Verbrauchsware. Selbst wenn er noch ganz passabel aussieht, ist er ab einem bestimmten Zeitpunkt einfach durch. Also mache es kurz und schmerzlos und besorge dir einen neuen.


Punkt zwei: Vermutlich ist dein Pinsel qualitativ minderwertig. Das tut weh, trifft aber auf fast alle Schul- und Hobby-Pinsel zu. Denn ganz unter uns: Die Bezeichnung "Echthaarpinsel" garantiert noch lange keine hochwertige Verarbeitung, also die Art, wie die Haare im Metallschaft fixiert sind. Und was nützt einem das weichste Eichhörnchenhaar, wenn es aus seiner Fassung und auf das Bild rieselt?

Allerdings gilt hier auch wieder: Qualität hat ihren Preis. Ein hochwertiger Aquarellpinsel kann bis zu 250 Euro kosten - pro Stück! Kein Wunder also, dass man solche hochpreisigen Pinsel nicht im Schreibwarenladen findet. Dafür musst du schon zum Spezialisten fahren oder über den Fachhandel bestellen. Moment mal. Du weißt nicht, woher dein Pinsel stammt und was er gekostet habt? In diesem Fall treffen wohl meine beiden Ausgangsvermutungen zu: Dein Pinsel ist zu alt UND er ist qualitativ minderwertig. Denn Hand aufs Herz: Wie hoch stehen schon die Chancen, dass du aus Versehen einen exklusiven und dabei neuwertigen Echthaarpinsel besitzt?


Wie komplex die Pinselherstellung ist, kannst du in diesem Video einsehen.


Aber genug des Traurigen. Jetzt kommt zur Abwechselung eine richtig gute Nachricht: Als Anfänger brauchst du gar keinen High-End-Aquarellpinsel! Den Qualitätsunterschied würdest du bei deinen ersten Malversuchen gar nicht merken. Solange dein Pinsel nicht haart und seine Form weitgehend hält, ist er zum Aquarellieren geeignet. Also fährst du mit einem ehrlichen Borstenpinsel aus dem Baumarkt unter Umständen besser als mit einem schlecht gebundenen Echthaarpinsel aus dem Bastelladen. Und sollte das Aquarellieren zu deiner neuen Leidenschaft werden, kannst du dir später immer noch einen besseren Pinsel besorgen - oder dir einen zum Geburtstag schenken lassen.


Tipp #Pinsel: Mit zwei, drei Pinsel in verschiedener Stärke, die nicht haaren und zuverlässig ihre Form halten, kannst du nichts falsch machen - selbst wenn es keine "echten" Aquarellpinseln sind.

Somaya S., 8. Klasse


1.3. Die Wahl der Farbe: Epic Fail Nr. 3?

Alles noch ganz frisch:

Aquarellkasten von Yara N., 11. Klasse

Nach Papier und Pinsel betritt der letzte Mal-Akteur die Bühne: das Aquarell. Man sollte meinen, dass die Wahl der Farbe, die für diese Maltechnik namensgebend ist, entscheidend sein müsste, doch dem ist nicht so. Klar gibt es auch hier gewaltige Qualitätsunterschiede, auch hier kann man sich von einem Schulfarbkasten über ein No-Name-Produkt bis hin zur Creme de la Creme von Winsor & Newton, Lukas oder Schmincke steigern. Doch bedenke dabei, dass du am Anfang deiner Aquarellkariere stehst. Es geht nicht darum, langjährige Meister dieser Technik zu übertrumpfen, sondern deine ersten Erfahrungen damit zu sammeln. Und in diesem Fall reicht ein ganz gewöhnlicher Schulfarbkasten vollkommen aus. Schon damit können Anfänger wunderbare Aquarelle erzielen, wie die Bilder in diesem Beitrag deutlich belegen. Also kannst du hier richtig viel Geld sparen und erst einmal mit der Farbe arbeiten, die da ist.


Julian B. beim Aquarelieren (8. Klasse)

Das war ja einfach! Und es kommt noch besser: Weil die günstige Schul-Wasserfarbe weder sonderlich leuchtend noch besonders transparent ist, eignet sie sich hervorragend, um das trübe deutsche Wetter darzustellen. Je schmuddeliger die Farben, desto authentischer das Gesamtergebnis! Daher haben wir uns bei unserer Motivwahl auf das Thema Herbst geeinigt: Die vielen Rot-, Orange- und Brauntöne sind in jedem Farbkasten zu finden, und egal wie trüb sie sind, wirken sie in jeder Variante plausibel, schließlich gibt es solche und solche Herbsttage.

Razan H., 8. Klasse

Auch hier gilt wieder: Solltest du beim Malen Lust auf mehr bekommen, kannst du dir immer noch einen hochwertigeren Aquarellkasten zulegen. Denn mehr geht immer, vor allem was Brillanz, Transparenz und Lichtechtheit der Farben angeht. Hier greift die schon erwähnte Strategie: "Der nächste Geburtstag kommt bestimmt". Man muss nicht gleich mit dem teuersten Equipment starten; schließlich möchte man sich auch noch verbessern können.

Die Anschaffung eines hochwertigen Aquarellkastens lohnt sich langfristig dennoch, und zwar in vielerlei Hinsicht. Im Gegensatz zu Papier, das schnell verbraucht, Pinseln, die schnell abgenutzt sind und flüssige Farbe, die langsam aber sicher in ihrer Tube oder Flasche vertrocknet, halten sich die Aquarell-Näpfchen ewig. Dazu sind sie wahnsinnig ergiebig. Obwohl sie nach nichts aussehen, können sie für ein ganzes Menschenleben reichen - oder sogar darüber hinaus. So besitze ich den Aquarellkasten meines Urgroßvaters, der ihn Anfang des 20. Jahrhunderts in Paris gekauft und nach Russland gebracht hat. Inzwischen ist der Kasten nach Deutschland gereist, wo er immer noch einwandfrei seinen Dienst verrichtet. Solltest du also auf dem Dachboden deines Opas, in der Mottenkiste deiner Mutter oder in der Zeitkapsel deiner Schwester einen Aquarellkasten entdecken, kannst du ihn bedenkenlos benutzen. Und weil der Farbverbrauch bei dieser Technik homöopathisch gering ist, würde es seinen Besitzern gegebenenfalls gar nicht auffallen.


Der gemeine Wasserfarbkasten ist besser als sein Ruf. Farbstudien von Kevel, 11. Klasse


Tipp #Wasserfarbe: Toll, wenn du eine hochwertige Aquarellfarbe besitzt! Wenn nicht, macht nichts. Auch mit einem Schulmalkasten kann man wunderbare Bilder aquarellieren. Zwar wird deine Farbpalette weniger leuchtend ausfallen - doch umso besser passt sie zum mitteleuropäischen Dauerherbst.


1.4. Bonus: tolle Gimmicks

Yara N., 11. Klasse: Zwischenschritt 1

Neben Dingen, die man zum Aquarellieren unbedingt braucht, gibt es Dinge, die nicht zwingend, aber absolut empfehlenswert sind. Dazu gehört zum Beispiel der #Schwamm. Im Schulkontext wird er gern zum Auftragen von Farbe verwendet. Doch diese Methode eignet sich nur für deckende Maltechniken. Da man einen eingefärbten Schwamm nie wieder ganz sauber bekommt, schmiert er in Folge und verunreinigt die lasierend, also teiltransparent aufgetragene Aquarellfarbe (#quatschmitsauce2). Daher sollte dein Malschwamm nur mit einem Mittel in Berührung kommen: Wasser.

Du fragst dich gerade, wozu er dann beim Malen gut sein soll? Ganz einfach: Um große Papierflächen gleichmäßig anzufeuchten und sie dann mit einem breiten Pinsel zu colorieren. Dabei musst du schnell sein, denn das angefeuchtete Papier ist im Nu wieder trocken. Also solltest du deine Farbe schon vor dem Papieranfeuchten anmischen. Auf diese Weise kannst du große einfarbige Farbfelder und fließende Verläufe ohne sichtbare Farbränder und Pinselstriche erzielen, da die Farbe auf einem feuchten Untergrund automatisch gleichmäßig verläuft. Dank Schwamm steht einem endlosen Meeresspiegel oder einem perfekten Sonnenuntergang nicht mehr im Weg.



Achte jedoch darauf, mit dem feuchten Schwamm nicht über das Papier zu reiben, sondern es vielmehr behutsam zu betupfen, um die Papieroberfläche nicht aufzurauen und darauf in Folge Krümmel und Farbflecken zu erzeugen. Alternativ zu Schwamm gibt es im Handel Schwammpinsel: Sie sind ganz weich, aber dennoch scharfkantig, sodass man damit noch präziser arbeiten und die anzufeuchtenden Felder noch genauer umreißen kann.


Neben gewöhnlichen Küchenschwämmen können auch Naturschwämme verwendet werden: Sie sind nicht nur schön anzuschauen, sondern haben auch noch eine besonders weiche Oberfläche, sodass sie das nasse Papier weniger aufrauen. Und hat man mal gerade keinen Schwamm zur Hand, kann man das Papier auch mit einem breiten sauberen Pinsel anfeuchten. Auch hier kommt es weniger auf das Material als vielmehr auf die richtige Methode an.


Paul G., 10. Klasse (2019)


Fondueteller als Mischpalette


Außer Schwamm gibt es viele weitere empfehlenswerte Aquarell-Tools. Dazu gehört zum Beispiel die Porzellan-Mischpalette. Es ist ein unvergleichlich sinnliches Erlebnis, Farbe auf Porzellan anzurühren. Im Gegensatz zu Kunststoff verfärbt sich das Material nicht; die Farbe perlt davon ab, trocknet darauf langsamer und lässt sich mühelos abwischen. Und noch ein Geheimtipp: Glücklich ist, wer einen Fondueteller (s. Bild) besitzt. Mit seiner großzügigen Einteilung eignet sich diese Tellerart bestens zum Farbe Anmischen, und zwar nicht nur beim Aquarell, sondern auch bei Acryl, Öl & Co.


Lieblingsgimmick: Rubbelkrepp von Schmincke

Für alle, die nun Blut geleckt haben und sich noch intensiver mit dem Aquarell befassen möchten, kann ich das absolute Non plus Ultra-Gimmick empfehlen: den Rubbelkrepp. Hierbei handelt es sich um eine silikon-artige, wasserabweisende Maskierpaste, mit der man alle kleinen Bildpartien abdecken kann, die hell bleiben sollen. Wenn dein Bild fertig und trocken ist, rubbelst du die Maskierpaste mit dem Daumen wieder ab und zack, fertig sind die hellen Negativräume. Wie genau es funktioniert, wird in diesem Video erklärt. Mit seinen 5 Euro pro Flasche ist Rubbelkrepp zwar relativ teuer, aber nicht unbezahlbar und dabei äußerst nützlich. Dank ihm kannst du filigrane weiße Linien oder Lichtreflexe auf deine Aquarelle zaubern, die stets für einen Wow-Effekt sorgen (Beispiel s. unten). Zur Not lassen sich statt Rubbelkrepp auch andere Materialien zweckentfremden: zurechtgeschnittenes Kreppklebeband, Kneteradiergummi, Kaugummi oder Knete. Vergiss aber nicht, vorher einen Materialtest zu machen: Nicht dass die Wasserfarbe unter deine improvisierte Abdeckung läuft oder sie am Papier für immer kleben bleibt.



Tipp #Aquarellgimmicks: Schwamm, Fondueteller, Rubbelkrepp: Diese Empfehlungen gehen auf meine subjektive Aquarell-Erfahrung zurück und haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Und nebenbei: Da ich diesen Blog ehrenamtlich betreibe, unterliegen meine Material-Tipps keinem Sponsoring.

Mit diesem Aquarell wollte ich meinen Schülern Rubbelkrepp im Einsatz demonstrieren. Damit habe ich die hellen Bildpartien sowie einzelne helle Blätter abgedeckt und sie nach der (Beinah-)Fertigstellung des Bildes leicht coloriert.


 

2. #Aquarellübungen statt gefährliches Halbwissen


Beim Aquarellieren kommt es - im Grunde wie bei jeder Kunsttechnik - auf zwei Faktoren an: das passend gewählte Material und eine zielführend eingesetzte Technik. Das alles ist natürlich nichts gegen eine gute Bildidee, sie kommt immer an erster Stelle! Aber für gute Ideen bist du verantwortlich. Mein Tutorial soll dir lediglich dabei helfen, sie wunschgemäß umzusetzen. Und dafür solltest du das handwerkliche Einmaleins beherrschen. Außerdem wollen wir gleich schauen, welche fatalen Missverständnisse (#quatschmitsauce) deine bisherige Künstlerkarriere verhagelt haben und wie du es in Zukunft besser machen kannst.


2.1 #quatschmitsauce1: Benutze ganz viel Wasser!


Emma N., 11. Klasse (Zwischenschritt)

Als erstes sei angemerkt: Ein Schulfarbkasten ist genauso multifunktional wie ein Schulblock (vgl. 1.1.). Das sollte er auch sein, schließlich soll er dich durch dein ganzes Schulleben begleiten und für alle deine Malprojekte herhalten. Du kannst seine trocken verpresste Farbe einerseits wie Tempera benutzen, indem du sie relativ dickflüssig, mit wenig Wasser anrührst und deckend malst. So erreichst du eine hohe Farbintensität und eine starke Fernwirkung, wie sie zum Beispiel bei einem Plakat sinnvoll wäre. Du kannst aber auch dieselbe Farbe sehr stark verdünnen und damit lasierend, also halbtransparent malen. Dies wäre die klassische Methode beim Aquarellieren.


Vermutlich weil sich der Name der Technik vom Begriff "Aqua" ableitet (Lat. Wasser), scheinen allerdings viele anzunehmen, dass man dabei ganz viel Wasser benutzen müsste. Bloß nicht! Denn Transparenz kommt hier weniger von einem erhöhten Wasseranteil, sondern vielmehr von einem extrem reduzierten Farbanteil. Zum Aquarellieren benötigst du in der Regel gerade so viel Farbe, wie du sie mit der Spitze deines nassen Pinsels aufnehmen kannst. Dieser sollte wiederum gerade so nass sein, dass er mühelos übers gekörnte Aquarellpapier gleitet. Es ist nicht die Farbe als solche, sondern vielmehr das weiße Papier, das die Farbe zum Strahlen bringt - so wie das Licht die farbigen Kirchenfenster erleuchtet. Um diesen Lichtzauber zu ermöglichen, darf die Deckkraft der Farbe nicht zu hoch sein. Wenn ihre Intensität der eines Fruchtbonbons ähnelt (s. unten), müsste das Verhältnis von Wasser und Farbe stimmen.


Nimm2 als Malprinzip: wenig Wasser und noch viel weniger Farbe.



Übung A: Farbverlauf

Nimm einen Streifen Aquarellpapier und versuche auf einem Abschnitt von ca. 3 cm einen Farbverlauf zu erzeugen. Setze dafür als erstes einen Farbtupfer aufs Papier, wasche den Pinsel schnell wieder aus und vermale den noch nassen Tupfer mit einem feuchten, sauberen Pinsel nach außen (s. unten).




Als nächstes kannst du mehrfarbige Verläufe üben, indem du zwei verschiedene Farbtupfer mit 2-3 cm Abstand aufs Blatt platzierst und sie mit einem feuchten, sauberen Pinsel verbindest (unten: Verlauf von Grün zu Violett). Achte darauf, dass diese 2-3 cm Pufferzone nicht mit Farbe vollläuft, damit der Übergang sichtbar bleibt. Sollte er zu dunkel geraten, kannst du ihn, so lange er noch nass ist, wieder aufhellen, indem du mit einem feuchten, sauberen Pinsel hineingehst und die überschüssige Farbe wie mit einem Schwamm aufsaugt. Das geht! 

Auch lose Pinselhaare kannst du mit einem feuchten, sauberen Pinsel super abtragen, indem du ihn wie eine Spachtel flach drückst, seitlich ansetzt und das Haar vorsichtig anhebst. Außerdem kannst du mit einem nassen, sauberen Pinsel ein Papierfeld anfeuchten, bevor du es ausmalst, denn auf feuchtem (nicht nassem!) Papier verteilt sich die Farbe gleichmäßiger, s. #Schwamm. 


Fazit: Der feuchte, saubere Pinsel ist ab sofort dein bester Freund.

Verlauf-Übungen von Anny H., 11. Klasse



2.2. #quatschmitsauce2: Die Farbe muss schäumen!


Yara N., 11. Klasse: Zwischenschritt 2

Oft erzählen mir Schüler, dass ihnen in der Grundschule beigebracht wurde, so lange in der Farbe zu rühren, bis sie schäumt. Warum?! Weder dem Pinsel noch der Farbe kann diese Behandlung gut bekommen. Meine beste Erklärung dafür wäre, dass durch diese Verzögerungstaktik ungeduldige Schüler bei der Stange gehalten werden sollten. Schließlich braucht trocken verpresste Farbe eine Weile, bis sie sich anlöst. Das Schäumen wäre demnach ein zuverlässiger Indikator für den veränderten Aggregatzustand.

Allerdings ist das Schäumen fürs Aquarellieren vollkommen kontraproduktiv: Erstens lässt es viele kleine Luftbläschen entstehen, die später beim Malen stören, beim Trocknen aufplatzen, weiße Punkte im Bild hinterlassen ... Nicht schön. Zweitens bedeutet dieses infernalische Schäumen für jeden (Echthaar-)Pinsel einen qualvollen Tod. Selbst Borstenpinsel machen da nicht lange mit und verlieren an Form und Haaren. Daher wärest du besser beraten, wenn du beim Anrühren der Farbe nicht auf Kraft, sondern auf Geduld setzen würdest. Löse die Farbe mit reichlich Wasser und mit vorsichtigen kreisenden Bewegungen an. Wenn du mehrere Farben miteinander mischen möchtest, solltest du sie erst flüssig anrühren und dann Pinsel für Pinsel auf deine (Porzellan-)Mischpalette übertragen, wo du dich in aller Ruhe mit dem richtigen Mischverhältnis befassen kannst. Das kann dauern, vor allem wenn man etwas mehr Farbe benötigt, zum Beispiel für eine größere Himmelpartie. Aber die Mühe lohnt sich, denn so bleibt dein Pinsel intakt, und auch das Farbergebnis sieht homogener aus.

Alternativ kannst du flüssige Aquarellfarbe verwenden, die man fertig angerührt in Tuben kaufen kann. Doch aus der Sicht eines echten Aquarell-Puristen ist es getrickst, schließlich gehört das meditative Anrühren der Farbe zum Aquarellierprozess dazu. Außerdem ist die Tubenfarbe teuer und in null Komma nichts verbraucht, wohingegen die trocken verpressten Aquarellnäpfchen unendlich lange halten (vgl. 1.3.).


2.3. #quatschmitsauce3: Zum Aufhellen brauchst du Deckweiß!


In jedem gut sortierten Farbkasten findest du eine kleine Tube #Deckweiß. Da liegt der Gedanken nahe, sie auch zu benutzen - zum Beispiel, um andere Farben aufzuhellen. Allerdings wäre es ein Fehler. Warum? Gegenfrage: Hast du es schon mal versucht? Wenn ja, dann wirst du dich erinnern, dass #Deckweiß andere Farben nicht nur heller, sondern auch pastelliger macht. Aus einem kräftigen Ultramarin wird plötzlich Babyblau, aus einem intensiven Karminrot - ein kitschiges Schweinchenrosa. Das muss man wollen, sonst ist die Enttäuschung vorprogrammiert. Außerdem hebt das Deckweiß - der Name sagt es schon - die Transparenz der Farbe auf. Bereits eine geringe Weißbeigabe verwandelt lasierende Farben in deckende, was daran liegt, dass Deckweiß streng genommen keine Aquarell-, sondern eine #Tempera-Farbe ist, also in einem Aquarellkasten wesensfremd und nur für deckende Maltechiken geeignet (s. 2.1.).

Halte dich also beim Aquarellieren vom Deckweiß fern, du brauchst es höchstens, um nachträgliche Korrekturen vorzunehmen oder dezente Lichtreflexe zu setzen. Zum Mischen ist es dagegen völlig ungeeignet. Was aber tun, wenn man ein helles Rot benötigt? Ganz einfach: NOCH weniger Farbe nehmen und das weiße Papier seine Arbeit machen lassen. Auch hier gilt die Aquarell-Faustregel: Transparent = wenig Wasser und noch viel weniger Farbe.


Schön hell mit wenig Farbe: Amelie S., 8. Klasse, Detail (oben) und das vollständige Bild



2.4. #quatschmitsauce4: Schwarz macht andere Farben dunkler!


Schwarz ist eine tolle Farbe. Man kann damit deckend arbeiten und comichafte Umrisse erzielen; man kann damit ganze Bildfelder ausmalen und dadurch die plakative Bildwirkung steigern. Man kann auch in differenzierten Graustufen malen und ein ganzes Bild schwarz-weiß aquarellieren. Oder man gibt Schwarz anderen Farben bei, um sie damit dunkler zu machen ... Oder etwa nicht? Tatsächlich teils, teils. Klar, mit sehr viel Schwarz kannst du jede Farbe abdunkeln und beispielsweise Ultramarinblau in Nachtblau verwandeln. Andererseits kannst du die so erzeugte Mischfarbe wieder mit Wasser verdünnen und dabei ein so helles Graublau erzielen, dass die die finale Farbe heller ist als der Blauton vor der Beigabe von Schwarz - ein scheinbarer Widerspruch.


Dieser löst sich auf, wenn man zwischen Reinheit und Helligkeit der Farbe unterscheidet. Beim Mischen verändert Schwarz in erster Linie die Reinheit der Ausgangsfarbe: Es macht andere Farben trüber, weniger leuchtend. Zur Helligkeitsregulierung dagegen solltest du weder auf Weiß (#quatschmitsauce3) noch auf Schwarz allein setzen, sondern weiterhin mit dem altbewährten Zaubermittel Wasser arbeiten.


Oben: Ahmed A., 11. Klasse, Detail; unten: Marlene G., 10. Klasse (2019)


Das Trüben von Farben ist fürs Aquarellieren von zentraler Bedeutung. Wenn man natürlich wirkende Landschaftsarben oder sogar exakte Töne seiner Fotovorlage nachmischen möchte, kommt man mit den grellen, künstlich wirkenden Farben des Wasserfarbkastens nicht weit. Also muss man sich zu helfen wissen und je nach Ausgangsfarbe Schwarz, Braun, Beige oder Olivegrün dazu mischen. Du kannst natürlich auch andere Farben ausprobieren, hier ist Experimentierbereitschaft gefragt.


Sonderfall helle warme Farben: Um diese Farben zu trüben, solltest du statt Schwarz eher Beige oder Braun benutzen, denn gerade Gelb kippt schnell ins Grünliche um. Es sei denn, genau diesen Schmuddelton möchtest du beim Mischen erreichen. Dann nichts wie los! Denn wie bei allen kreativen Prozessen gilt auch hier: Everything goes (selbst das, was du nie haben wolltest), solange das Endergebnis dich begeistert.

 

Übung B: Mischen macht den Meister


Auf diesen Mischtrick bin ich besonders stolz: die von mir entwickelte analoge Tontrennung. Ich nenne sie im Folgenden einfachheitshalber #Lochtechnik. Gerne möchte ich sie mit dir teilen, denn ich weiß, dass sie dein Leben verändern wird, und ich beneide dich jetzt schon ein bisschen um den Aha-Moment, den du gleich haben wirst.


Ella S., 8. Klasse: #Lochtechnik


Wenn man ein Farbfoto betrachtet, ist man im ersten Moment von der Vielfalt seiner Farben überwältigt. Wo soll man da anfangen? Was soll man als erstes mischen? Und wie?! Das Hauptproblem dabei: Die verschiedenen Farben liegen nah beieinander, gehen ineinander über, überlappen sich, erzeugen Simultankontraste ... 


Um die Farben der Fotovorlage erst einmal auseinanderzuhalten, kannst du den folgenden Trick benutzen: Nimm ein weißes Blatt Papier und mache ein bleistiftdickes Loch hinein. Platziere das Loch auf eine der zentralen Farben deines Bildes: Es kann der Himmel sein, oder auch ein einzelnes Blatt, Hauptsache, man sieht nur diese eine Farbe durch das Loch, während der Rest des Bildes vom weißen Papier abgedeckt ist.

Jetzt kannst du versuchen, diese isolierte Farbe mit Wasserfarbe nachzumischen. Um den Ton mit dem Original abzugleichen, kannst du deine frisch gemischte Farbe neben das Loch tupfen (s. oben). So kannst du sie mit dem Originalton diekt vergleichen. Experimentiere beim Mischen sowohl mit verschiedenen Farben als auch mit unterschiedlichen Wasseranteilen, denn es kommt nicht nur auf die richtige Farbintensität, sondern auch auf den korrekten Helligkeitsgrad an. 

Wenn du mit dem Mischverhältnis zufrieden bist, notiere dir die dazu verwendeten Farben und deren ungefähren Anteile auf einem Zettel. So kannst du sie später nachmischen, auch wenn es niemals exakt derselbe Ton werden würde. Macht aber nichts! Gerade die vielen Zwischentöne machen ein Aquarell lebendig. Und sollte dir auf einer großen Fläche, etwa beim Himmel, deine gemischte Farbe plötzlich ausgehen, keine Panik: Lasse deine Farbreste mit etwas Wasser ins Leere auslaufen (s. Übung A) und docke von der anderen Seite mit der neuen Mischfarbe daran an. So erzeugst du einen schönen Farbverlauf, als hättest du ihn genauso geplant. "Bluffen statt blamieren," wie der Fachmann dazu sagt. 

Und keine Sorge: Du musst nicht jede einzelne Farbe deiner Vorlage so umständlich nachmischen. Zum einen setzen sich die meisten Bilder erfahrungsgemäß aus 3-5 Hauptfarben zusammen. Hier reicht es, den dunkelsten Ton von ein paar deiner Hauptfarben nachzumischen und diese je nach Bildbereich pur oder verdünnt zu verwenden. Zum anderen wirst du mit der Zeit ein so gutes Gefühl fürs Farbmischen entwickeln, dass du später weder das gelochte Blatt noch deine Farbnotizen benötigen wirst, versprochen. Bei deinen ersten Aquarell-Versuchen dagegen würde ich dir raten, fünf Hauptfarben deines Bildes wie oben geschildert nachzumischen und schriftlich festzuhalten. Das wird dir die nötige Sicherheit geben, um gleich danach auf dem großen, hochwertigen Aquarellpapier durchzustarten.


So schön kann Farbmischen sein. Probiere es aus!


2.5. #Quatschmitsauce5: Lass' die Farbe ja nicht verlaufen!


Das letzte Vorurteil unserer Reihe betrifft das Verlaufen der Farbe. Sicher hast du es auch schon mal erlebt: Aus Versehen erwischt du mit dem Pinsel ein Farbfeld, das noch nass ist. Sofort laufen die Farben ineinander, vermischen sich zu einer schmutzigen Pfütze, der Supergau also, dein Bild ist unwiderruflich ruiniert, reif für die Tonne ... Oder nicht?


Anny H., 11. Klasse


Tatsächlich ist das Verlaufen der Farbe nicht grundsätzlich schlecht. Beim Aquarellieren ist das sogenannte Lavieren, die Nass-in-Nass-Technik sogar erwünscht. Der letztere Fachbegriff könnte allerdings dazu verführen, zu viel Wasser zu nehmen - und schon hast du den nächsten Epic Fail. Daher ziehe ich persönlich den Begriff Lavieren vor: Hier steht nicht das Wasser, sondern die eigentliche Technik im Fokus. Denn eins sollte inzwischen klar sein: Weniger Wasser ist in der Regel mehr. Also meint das Lavieren weniger das Tropfnass als Gerade-So-Feucht.

Wie genau Lavieren geht, kannst du oben unter #Schwamm nachlesen (1.4.). Oder du konsultierst das Videotutorial "Aquarell einfach kontrollieren" (s. auch die Link-Sammlung unten, 6.1.).

Ebenfalls sehr empfehlenswert, weil fundiert erklärt und reich bebildert, ist die Aquarell-Einführung von Martin Mißfeldt. Unter anderem werden hier die beiden Hauptprinzipen des Aquarells vorgestellt: Lavieren (Nass-in-Nass) versus Lasieren (Nass-auf-Trocken):



Während beim Lavieren nasse, fließende Übergänge in einem Rutsch erzielt werden, wird beim Lasieren mit nasser auf trockene Farbe gemalt, was Trocknungsphasen erfordert. Die semitransparenten Farbschichten setzen sich hier erst im Auge des Betrachters zu einer neuen Mischfarbe zusammen (Bild oben rechts), ähnlich wie beim Übereinanderlegen von Farbfolien eine neue Farbe an deren Schnittstelle entsteht.

Beim Aquarellieren musst du dich zum Glück nicht für die eine oder andere Variante entscheiden. Je nach angestrebter Wirkung kannst du mal lavieren, mal lasieren, mal beide Techniken parallel anwenden. Vieles ist möglich - sollte allerdings im Vorfeld auf einem Extrablatt ausprobiert werden. Du wirst sehen: Das freie Experimentieren mit Wasserfarbe ist deutlich kontrollierbarer und dadurch befriedigender, als du es in Erinnerung hast!


Lavieren (oben) versus Lasieren (unten)


 

3. Genug Gerede: Starte dein eigenes Aquarell-Projekt!


Bildvorlagen meiner 8. und 11. Klassen

Nach einer kleinen #Materialkunde (1) und den #Aquarelübungen (2) bist du nun gerüstet, um dein eigenes Aquarellprojekt zu starten. Dafür brauchst du nur 1) ein Blatt #Aquarellpapier, 2) ganz gewöhnliche #Wasserfarbe, 3) ein paar verschieden dicke #Pinsel und 4) eine zündende Bildidee. Bestimmt hast du viele kreative Bildeinfälle, doch für den Einstieg in diese neue Technik rate ich dir zu einer guten Fotovorlage: So kannst du das exakte Farbmischen und die Maltechnik üben, ohne dir den Kopf über die Bildkomposition zu zerbrechen. Das Foto sollte hochaufgelöst und im Ausdruck vorliegen. Denn im Gegensatz zum leuchtenden Handy- oder iPad-Display lassen sich die Farben eines ausgedruckten Bildes viel einfacher nachmischen (vgl. dazu das additive mit dem subtraktiven Mischverfahren) und mit der Vorlage per #Lochtechnik abgleichen. Zum Ausdrucken kannst du einen Standard-Farbdrucker benutzen und dein Bild idealerweise Din A4-groß ausdrucken. Oder du nimmst 20 Cent in die Hand und machst einen Fotoabzug in der Drogerie deines Vertrauens. Weil Fotopapier deutlich bessere Ergebnisse erzielt als ein Drucker, reicht hier die Fotoabzugsgröße von 9 x 13 cm. Und damit deine Vorlage beim Mischen mit der #Lochtechnik keinen (Wasser-)Schaden nimmt, solltest du sie vorsorglich in eine Klarsichtfolie stecken.


3.1. Das passende Bildmotiv

Nun stellt sich die Frage nach dem Fotomotiv. Grundsätzlich kannst du natürlich alles mit Aquarell abbilden, allerdings gelingen landschaftliche Motive in diesem Medium besonders eindrucksvoll, weil damit atmosphärische Lichträume, Farbverläufe, Transparenzen und Unschärfen erzeugt werden können. Um die Vielschichtigkeit des Aquarells zu erproben, sollte deine Fotovorlage daher genug Herausforderung bieten, zum Beispiel viele Farbnuancen zum Nachmischen bieten. Gleichzeitig sollte sie nicht zu herausfordernd sein, damit du mit einem Erfolgserlebnis durchstarten kannst. Beim Aquarell ist eine Vorlage dann schwierig, wenn sie große einheitliche Flächen (zum Beispiel Meeresspiegel oder große Himmelflächen) beinhaltet. Auch Unschärfe wie bei Nebel oder Wolken benötigt etwas Fingerspitzengefühl. Anfangs geht es leichter mit einer Fotovorlage, auf der starke Hell-Dunkel-Kontraste und einige klare Linien vorherrschen. Sie strukturieren das Bild und geben dir beim Malen Halt.


Emilie G., 10. Klasse (2019)


Emily Y., 8. Klasse (Zwischenschritt)

In meiner eigenen Unterrichtspraxis hat sich das Thema "Herbstwald" bewährt: Hier fallen gelegentliche Mischunfälle, Kleckse oder perspektivische Verzerrungen nicht weiter auf, schließlich ist der Herbst bunt, und im Wald herrscht bekanntlich Chaos. Da ist Erfolg vorprogrammiert! Einen zusätzlichen Wow-Effekt erzielst du, wenn du in deinen Herbstwald eine geschlossene Wasserfläche hineinlavierst, etwa einen Bach oder einen See. Auch solche Motive kannst du in diesem Beitrag sehen (z. B. in 1.4., 2.5., 3.3.1.). Die Kombination von getupften Blättern, gestrichelten Ästen, deckend gemalten Baumstämmen und transparenten, verschwommenen Wasserflächen erzeugt einen spannenden Kontrast und zeigt, wozu das Aquarell alles fähig ist.


Oder du gibst bei deiner Google-Recherche den Begriff Waldweg ein; um eine größere Bilderauswahl zu erzielen, kannst du es in Englisch oder auch anderen Fremdsprachen ausprobieren. Das Motiv eines Weges führt den Betrachter in das Bild hinein und verleiht diesem mehr Tiefe. Der Mehraufwand bleibt dabei überschaubar: Zwei geschwungene Linien, ein bisschen Größenabnahme und blasse, bläuliche Farben im Hintergrund - schon wirkt deine Komposition viel plastischer. Mehr zur Farbperspektive und anderen raumschaffenden Mitteln erfährst du unter anderem in den Erklärvideos von Frau Schimpf. Weitere Tipps zur Vorlagensuche im Internet (gar nicht so einfach, wie man denkt!) findest du am Ende meines Blogbeitrags "Aktzeichnen ohne Akt".



3.2. Vorzeichnung

Sichtbare Bleistiftstriche, vor allem bei der

Rasterung, wirken störend (Detail, 8. Klasse)

Als Format für dein Aquarell solltest du mindestens Din A3 wählen (30 x 42 cm). So hast du genug Platz, um etwas experimenteller und gestischer zu arbeiten. Zeichne um das Blatt herum einen 2 cm breiten Rand, der weiß bleiben soll: Daran kannst du dein nasses Bild später gut halten, drehen und transportieren. Außerdem wird der trockene Rand dem nassen Aquarellbild etwas Stabilität verleihen, sodass es sich weniger verwellt. Alternativ kannst du das Papier mit Krepp- oder Nassband auf einem Brett fixieren, was am Ende einen ähnlichen Papierrahmen ergibt (s. 1.1.). Dieser weiße Rahmen kann bei einem fertigen Aquarell ganz charmant aussehen, und wenn er dich stört, kannst du ihn später immer noch abschneiden.

Zeichne als nächstes die wichtigsten Motive deiner Vorlage vor. Um sie proportional zu vergrößern, kannst du die Rastertechnik anwenden. Oder du verlässt dich auf dein Augenmaß. Wie schon gesagt, im Wald herrscht Chaos: Keiner außer dir wird deine Fotovorlage je zu Gesicht bekommen. Ob auf deinem Bild ein paar Bäume mehr oder weniger zu sehen sind, wird keinem auffallen.


Amelie B., 8. Klasse: gerasterte Fotovorlage sowie Mischen mit Hilfe von #Lochtechnik


Viel wichtiger ist, dass du beim Zeichnen nicht zu kräftig mit dem Bleistift aufdrückst, sonst ritzt du Vertiefungen ins Papier hinein, in denen sich später Farbpigmente festsetzten und dunkle Linien erzeugen. Darüber hinaus können kräftige Bleistiftstriche durch die transparente Farbe durchschlagen. Wenn man deine Vorzeichnung später nicht sehen soll, solltest du sie vor dem Aquarellieren vorsichtig nachradieren. Denn sobald Grafit in Berührung mit Wasser kommt, wird es auf dem Papier fixiert und lässt sich nicht mehr entfernen.

Bedenke aber, dass jedes Radieren die Papieroberfläche aufraut, weswegen sich auf den radierten Stellen Pigmente festsetzen und Farbflecke entstehen. Wie schon gesagt: Papier ist extrem empfindlich, launisch und nachtragend (1.1.). Daher lautet die Faustregel: So blass wie möglich vorzeichnen, so wenig wie möglich radieren. Der Profi verzichtet sogar ganz auf Bleistift, indem er seine Vorskizze mit Pinsel und hellen Aquarellfarben anlegt. Später malt er einfach drüber - und schon sind die hellen Pinselstriche im Gesamtbild nicht mehr zu sehen. It's magic ...

3.3. #Aquarellieren, Schicht für Schicht


Nun kann das eigentliche Aquarellieren beginnen. Nach diesem langen Einleitungstext denkst du vermutlich: Wird aber auch Zeit! Allerdings muss ich dich gleich enttäuschen: Mit schnellen Ergebnissen brauchst du nicht zu rechnen. Wenn dein Bild genauso vielschichtig aussehen soll wie die Bildbeispiele hier, wird es Tage, wenn nicht gar Wochen dauern - und zwar nicht, weil das Aquarellieren so kompliziert ist, sondern weil jede Farbschicht ihre Trocknungszeit braucht. Zwar trocknet Aquarell relativ schnell, doch gerade bei den ersten Farbschichten, die sich über größere Flächen erstrecken, brauchst du etwas Geduld. Gut, dass man sich in der Schule nur ein Mal pro Woche sieht. So kann das Bild bis zur nächsten Doppelstunde komplett durchtrocknen. Wenn du aber zu Hause arbeiten möchtest, kannst du das Warten verkürzen, indem du an mehreren Bildern parallel malst: Während das eine trocknet, kannst du mit dem anderen weitermachen.


Liam M., 11. Klasse: erste Farbschicht


Jetzt weißt du eigentlich alles, was du zu dieser Maltechnik wissen solltest. Du kannst loslegen! Und keine Sorge: Wir werden nicht Schicht für Schicht alle Etappen deines Bildprojekts durchgehen. Zum einen existiert kein Patentrezept, das für alle Bilder gilt. Zum anderen reicht es vollkommen aus, wenn du die Grundprinzipien des Aquarellierens kennst und sie situativ anwenden kannst. Dazu habe ich drei Faustregeln entwickelt, die ich dir vorstellen möchte. Sie wurden in vielen Selbstversuchen und an Schülern getestet und für nützlich befunden. Sicher gibt es auch andere Möglichkeiten, den Malprozess zu strukturieren. Aber von diesem Modell weiß ich zumindest, dass es auch ohne Vorerfahrung und auf Anhieb klappt.


Drei Faustregeln des Aquarellierens:

1. Von groß zu klein, von hinten nach vorn 
2. Von hell zu dunkel
3. Pinsel folgt Motiv

Joas M., 8. Klasse



3.3.1. Von groß zu klein, von hinten nach vorn


"Von groß zu klein, von hinten nach vorne": Das, was eigentlich nach zwei Regeln klingt, gehört untrennbar zusammen und betrifft die Mal-Reihenfolge. Demnach solltest du zuerst die großen, dann die mittelgroßen Bildpartien und erst zum Schluss die filigranen Details malen. Diese Vorgehensweise mag anfangs ungewohnt erscheinen, da man intuitiv andersherum beginnen würde, und zwar mit den Eyecatchern im Vordergrund. Im Fall des Waldmotivs würde man wohl aus dem Bauch heraus mit knorrigen Eichenstämmen und -ästen beginnen, danach die Blätter und erst am Ende den Himmel drumherum malen. Möglich wäre es. Allerdings müsstest du bei dieser Reihenfolge später jedes einzelne Blatt mit der hellblauen Himmelfarbe umpinseln, was nicht nur ineffizient wäre, sondern auch noch strichig und ungleichmäßig ausfallen würde. Daher ist es sinnvoller, mit großen Flächen (etwa dem Himmel) anzufangen und von hinten nach vorn zu arbeiten: Himmel / Wasser (falls vorhanden) -> Blattwerk -> Baumstämme -> Äste etc.


Sonderfall Hell auf Dunkel: Eine Ausnahme bilden warme und vor allem helle Details auf einem kalten und / oder dunklen Hintergrund: etwa leuchtend gelbe Blätter auf einem blauen Himmel. Hierbei müsstest du die Faustregel "von groß zu klein" etwas abwandeln. Denn wie du inzwischen weißt, ist Aquarell keine deckende Farbe. Wenn du also mit Gelb auf Blau malst, wird Blau immer dominieren. Deswegen solltest du, um die volle Leuchtkraft von Gelb und anderen hellen Farben zu erhalten, zwar mit dem Hintergrund ("von groß zu klein") beginnen, aber kleine Partien aussparen, um nach dem Trocknen helle Farbakzente wie gelbe Blätter darauf zu setzen. Gerade für solche kniffelige Stellen ist das Zaubermittel #Rubbelkrepp erfunden worden.

Oben: Lucy B., 11. Klasse (Detail); unten; Detail aus meinem eigenen Aquarell (Gesamtansicht oben): ausgesparte, nachträglich gemalte gelb-grüne Blättern auf einem blauen Hintergrund


3.3.2. Von hell zu dunkel


Gemäß der Doppelregel "von groß zu klein, von hinten nach vorn" solltest du im ersten Schritt alle großen Bildflächen vorgrundieren, und zwar in der hellsten Farbe, die deine Fotovorlage hergibt: die Baumkronen etwa in ihrem hellsten Grün- oder Rotton, die Baumstämme in ihrem hellsten Braunton etc. Idealerweise sollte dein Bild nach dem ersten Durchgang von großen, hellen Farbfeldern komplett bedeckt sein. Nur die Partien, die weiß bleiben sollen, etwa Lichter oder Spiegelungen im Wasser, bleiben bis zum Schluss unberührt bleiben, denn wie schon bekannt kommt Weiß beim Aquarellieren nicht von #Deckweiß, sondern von der jungfräulichen Papierfarbe.


Weil Aquarellfarbe nicht deckend ist, kann man damit immer dunkler, jedoch niemals heller malen. Daher solltest du im Folgenden gut auf deine hell grundierten Flächen aufpassen. Nicht dass du sie im Feuer des Gefechts komplett zutupfst oder dunkel übermalst! Ein Aquarell lebt schließlich davon, dass jede einzelne Farbschicht, auch die helle Grundierung, zumindest in Teilen bis zum Schluss sichtbar bleibt.


Sonderfall weiße Stellen: Damit die ausgesparten, weißen Papierstellen am Ende nicht negativ auffallen, weil sie im Gesamtbild unfertig wirken und die Papieroberfläche dort rauer aussieht als dort, wo sie bemalt wurde, solltest du mit einem nassen Pinsel ohne Farbe ein paar Mal darüberstreichen. Denn das Wasser versiegelt die Papierfasern und lässt die Oberfläche einheitlich glatt erscheinen.

Oben: Hannes W.., 11. Klasse (Detail, unfertig); unten: Just E., 8. Klasse (vorgrundiert)


Die gute Nachricht lautet: Wenn du dich daranhältst, wird dein Bild am Ende fantastisch aussehen. Jetzt kommt allerdings die schlechte Nachricht: Dein Bild wird sehr lange nach gar nichts aussehen. Nur große helle Farbklekse überall, später - verstreute Punkte, erst ganz zum Schluss würden dunkle Partien und Details hinzukommen und dem Bild an Tiefe und Struktur verleihen. Bis dahin helfen nur Geduld und Zuversicht. Es wird!



3.3.3. Pinsel folgt Motiv


Die ersten zwei Regeln betreffen die Reihenfolge, die dritte - "Pinsel folgt Motiv" - die Pinselführung. Hast du dein Bild erst einmal vorgrundiert, bietet sich bei Motiven wie Baumkronen die Tupftechnik an. Allerdings dürfen die Abstände zwischen den einzelnen Tupfern nicht zu gleichmäßig ausfallen, sonst sehen sie wie Polka Dots aus. Daher solltest du die Tupferdichte variieren: Um Äste anzudeuten, kannst du sie nah bei einander setzen, bis sie sich zu einer homogenen Fläche zusammenschließen. An anderen Stellen kannst du sie weiter auseinandersetzen und dabei verschiedene Helligkeitsstufen und Farbnuancen ausprobieren. Hierbei solltest du dich weiterhin an die Reihenfolgen-Regel "von hinten nach vorne, von hell zu dunkel" halten. In mehreren Durchgängen solltest du zuerst die hellsten, dann die etwas dunkleren Farben auftupfen und immer so weiter, Schicht für Schicht.


Tupftechnik im Detail: oben: Liv W., 8. Klasse;

unten: Carolin W., 11. Klasse (unfertig)

Sowohl beim Tupfen als auch beim Ausmalen von Farbfeldern solltest du dich bei deiner Pinselführung nach dem jeweiligen Motiv richten. So solltest du das Gras überwiegend senkrecht malen oder tupfen, um seine senkrechte Ausrichtung zu betonen. Das gefallene Laub solltest du konsequent horizontal stricheln, um das Flächige des Waldbodens zu verstärken. Das Laubwerk der Bäume solltest du mal runder, mal etwas länglicher und in variationsreichen Winkeln auffächeln, als würden die Blätter in verschiedene Richtungen wachsen. An einigen Stellen könntest du sie zu einem sichtbaren oder imaginären Ast hin ausrichten, als würden sie sich traubenartig daran anschließen. Außerdem sollten die Tupfer hinten kleiner und dichter ausfallen als vorne, was dem raumschaffenden Mittel der Größenabnahme entspräche und die Tiefenwirkung verstärken würde.

Erst ganz am Ende kommen die dunklen Baumstämme und -äste dran. Allerdings solltest du sie nicht in einem durchziehen, sondern mit Unterbrechungen, um anzudeuten, dass sich einige Blätter davor und andere dahinter befinden: eine weitere raumschaffende Maßnahme, die der Überlappung.

Merle Z., 8. Klasse, Detail

Behalte dabei deine Fotovorlage gut im Auge, denn ihre Motive geben die grobe Richtung der Pinselführung vor. Allerdings musst du dich nicht sklavisch daranhalten. Dass es auch nicht nötig ist, beweisen die vier Bilder in diesem Kapitel, die nach ein und demselben Foto entstanden sind. Mehrere Schüler hatten sich unabhängig voneinander dafür entschieden, weil dieses Bild als eins der ersten aufploppt, wenn man "Waldweg" und "Herbst" in Google eingibt. Doch trotz identischer Vorlage sind diese Aquarelle recht unterschiedlich ausgefallen, jedes auf seine Weise zauberhaft. Erst im Vergleich fallen hier und da kleine Abweichungen vom Original auf. Um diese - leider immer wertende - Vergleichbarkeit zu vermeiden, empfehle ich den Schülern gleich am Anfang, nicht den erst besten Netzfund zu nehmen und im Idealfall mehrere Fotos zur Auswahl mitzubringen. So kann jeder ein individuelles Motiv bearbeiten und die Frage, welches Bild der Fotovorlage am besten gerecht wurde, stellt sich am Ende gar nicht.

Nach derselben Vorlage gemalt, und doch so unterschiedlich: Merle Z. und Liv W. (8. Klasse); Carolin W. (unfertig) und Kevel T. (11. Klasse). Zum Vergrößern einfach draufklicken,


4. Fazit


Mein Schatz! Ein Teil meiner Aquarellausrüstung

So leicht und luftig ein fertiges Aquarell aussieht, so lang und beschwerlich ist der Weg dorthin. Er beginnt bei der Materialbeschaffung, beinhaltet Misch- und Malübungen und mündet schließlich in einem gut durchdachten Malprozess. Wenn ich das Thema Aquarell im Unterricht behandele, beansprucht es manchmal das gesamte Schulhalbjahr. Und während Jugendlichen an ihren Bildern arbeiten, gehe ich herum, schaue ihnen über die Schulter, spreche ihnen Mut zu - und komme mir gelegentlich wie ein geduldiger Herr Doktor vor: "Bewahren Sie die Ruhe; machen Sie so weiter wie bisher; es wird bald besser; nur Geduld!"

Auch du wirst Geduld brauchen. Denn eins ist sicher: Dein Bild wird sehr lange sehr unbefriedigend aussehen. Zuerst nur große helle Farbfladen, dann kleine Tupfer überall, dann bunte Farbkleckse und Striche ... Erst ganz zum Schluss, wenn dunkle Farben und Details hinzukommen, wird dein Bild die gewünschten Kontraste und damit Fernwirkung und Struktur bekommen. Im Schulkontext passiert es meist in der letzten Doppelstunde. Das ist normal und sollte dich keinesfalls entmutigen. Wenn du aber unsicher bist, ob du auf einem guten Weg bist, schau dir nochmals die Bilder dieses Beitrags an, lies das Tutorial nochmal durch und höre auf die imaginäre Stimme des Herrn Doktor: "Bleiben Sie dran, nehmen sie weiter Ihre Vitamine, bald wird es besser, Geduld, Geduld!"


Die witzige Aha!-Tasse findest du hier

Abschließend sei angemerkt, dass trotz aller Planung Aquarell ein sehr lebendiges und eigenwilliges Medium ist. Sei also bereit, dich beim Malen ein Stück weit fallen zu lassen. Experimentiere beim Lavieren, probiere ungewohnte Verpaarungen aus: Grasgrün, Neonrot, Indigo, was kommt dabei heraus? Überrasche dich selbst und bleibe offen für vermeintliche Unfälle, die sich oft als glückliche Zufälle entpuppen. Denn ein gelungenes Aquarell lebt nicht nur von einer guten Planung, sondern vor allem von einer großen Portion von element of surprise.



5. Bonus: zwei Quadratzentimeter


Als ich bei Professor Federle in Düsseldorf Malerei studiert habe, hat er mal gesagt, dass ein Bild erst dann gelungen sei, wenn jede zwei Quadratzentimeter davon malerisch überzeugen. Kein stumpfes Ausmalen des Hintergrunds mehr, kein Ausfüllen von Fläche: Die Qualität eines Kunstwerkes zeigt sich in der Nahansicht, an jeder beliebigen Stelle.

Also habe ich beim Fotografieren der Schülerbilder sehr genau hingeschaut. Auf vielen Detailaufnahmen zeigt sich, was im großen Ganzen gelegentlich untergeht: die mal deckend, mal lasierend aufgetragene Farbe, die grobe Körnung des Aquarellpapiers, der gestische Pinselduktus. Die fotografierten Flächen sind zwei bis vier Quadratzentimeter groß. Wer nicht spätestens jetzt dem Zauber des Aquarells unterliegt und selbst zum Pinsel greifen möchte, dem ist nicht mehr zu helfen!


Aquarelldetails zum Durchscrollen; zum Vergrößern bitte draufklicken.



6. Nützliche Links


6.1. YouTube-Tutorials


Es wird wohl niemenaden überraschen: Auf YouTube wimmelt es nur so vor Aquarell-Tutorials. Ich habe für dich zwei besonders anschauliche Tutorials herausgesucht. Einmal auf Englisch ...


... und einmal auf Deutsch.



6.2. Farbmischen interaktiv


Ebenfalls anschaulich: Unter diesem Link von geogebra.org kannst du interaktiv erproben, wie additive und subtraktive Mischverfahren gehen. Per Regler kannst du Cyan, Yellow und Magenta stückweise ein- und ausblenden und dabei zuschauen, wie sich das Mischverhältnis verändert: Hilfreich nicht nur fürs Aquarellieren, sondern auch für allen anderen Techniken.




6.3. Homepage von Martin Mißfeldt: Aquarell und mehr

Auf der Seite des Berliner Künstlers Martin Mißfeldt findest du viele Tipps und Tricks rund um das Medium Aquarell sowie andere Kunsttechniken wie Ölmalerei oder Zeichnen: samt Materialkunde, Bildbeispielen und Video. Und falls du dich an einer Kunstakademie bewerben möchtest, wirst du im Kapitel "Bewerbungsmappe" fündig. Bitte hier klicken.



6.4. Literaturtipp



Alles, was man zum Thema Aquarell wissen muss (chemische Bestandteile, Nass-in-Nass-Technik, Lasieren, Lavieren, Farbkontrast ...), hat Felix Scheinberger in seinem wunderbaren Buch "Wasserfarbe für Gestalter" festgehalten, auf das ich schon im Beitrag "Winter is coming" verwiesen habe. Inzwischen gibt es von Scheinberger auch Videotutorials, ebenfalls sehr informativ und inspirierend. Zu seinem Buch "Wasserfarbe für Gestalter" geht es unter anderem hier.




6.5. Online- und Präsenzkurse mit echten Kunstprofis


Seit Corona hat sich das Angebot an Online-Kunstkursen im Netz verzigfacht. Aber auch die Sehnsucht nach den Präsenz-Veranstaltungen scheint die lange Lockdown-Durststrecke befeuert zu haben. Auf artistravel.eu findet man ein riesiges Angebot an Online- und Präsenz-Kunstworkshops, die alle erdenklichen Facetten der Kunstpraxis beleuchten. Auch von Felix Scheinberger (s. oben) sind Zeichen- und Aquarellkurse dabei. Ich persönlich habe mich schon mal zum Kurs "Urban Sketching" im Oktober angemeldet. Vielleicht sieht man sich ja da? Zu weiteren Kursangeboten bitte hier klicken.


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