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Avant la lettre: mit Schirm, Charme und Lautréamont

Aktualisiert: 4. Okt. 2021

"Schön wie das zufällige Zusammentreffen einer Näh-maschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch." Ein folgenschwerer Vergleich. Mit Regenschirm.

Wenn es sie nicht schon gäbe, müsste man sie erfinden: Idiome. Sie reduzieren sehr komplexe Sachverhalte auf sehr wenige Worte und machen sie damit handlicher. Wir schätzen sie für ihre kompakte Form und ihre inhaltliche Spannbreite. Sie funktionieren auf Knopfdruck. Wie ein Regenschirm.

Nehmen wir zum Beispiel den Begriff "Déjà-vu". Im Französischen bedeutet er wörtlich "schon gesehen". Auf der idiomatischen Ebene meint Déjà-vu eine "Erinnerungstäuschung, bei der eine Person meint, ein gegenwärtiges Ereignis schon einmal erlebt zu haben" (1).

Nun streiten sich die Geister darüber, ob ein Déjà-vu auf ein verdrängtes, jedoch tatsächlich erlebtes Ereignis zurückgeht; ob man sich nur einbildet, das Ereignis erlebt zu haben; ob man es mit früheren Träumen und Phantasien verwechselt; oder ob man als Zeitreisender in einer Wiederholungsschleife hängt und diese immer und immer wieder erlebt... Welche wissenschaftliche oder sogar metaphysische Erklärung man für dieses Phänomen auch vorzieht - jeder wird es schon einmal erlebt und darüber gestaunt haben. Ein Déjà-vu: formal kompakt, inhaltlich komplex. Wie ein Regenschirm eben.


Die Radierung von Horst Janssen ist après la lettre, weil signiert. Mit Regenschirm.

Ein weiteres Idiom - und um dieses soll es im Folgenden gehen - stammt ebenfalls aus dem Französischen und lautet "avant la lettre". Seine inhaltliche Bedeutung ist so einzigartig und schön, dass man vor lauter Ergriffenheit weinen müsste. Noch sollten wir aber versuchen, unsere Tränen zurückzuhalten; wir werden sie später alle brauchen.

Zum Sachverhalt: Wörtlich übersetzt bedeutet "avant la lettre" "vor dem Buchstaben", genauer genommen "vor der Beschriftung". Diese Formulierung bezog sich ursprünglich auf Probe-Radierungen. Sie stammt also passenderweise aus dem Kunstkontext. Für gewöhnlich radieren Druckgrafiker ihren Namen in die Kupferplatte, bevor sie diese drucken (wie auf der Janssen-Radierung links unten). Doch noch vor dem Signieren ziehen Grafiker einen unbeschrifteten Probedruck ab. Damit überprüfen sie die Qualität ihrer Platte und arbeiten sie bei Bedarf nach. Ein solcher Probedruck heißt in der Fachsprache "avant la lettre", also vor der Be-Zeichnung.


Banksy. Mit Regenschirm. Damit niemand allein im Regen steht.

Im allgemeinen Sprachgebrauch steht das Idiom "avant la lettre" allerdings für etwas deutlich Abstrakteres. Wenn Künstler oder Wissenschaftler etwas avant la lettre erschaffen, dann sind sie ihrer Zeit weit voraus; sie liefern ein Produkt ab, für welches es noch keine Be-Zeichnung ("lettre") gibt.

Man sollte meinen, dass dies etwas Gutes ist. Seiner Zeit voraus zu sein, als erster am Ziel zu sein verdient gesellschaftliche Hochachtung und Anerkennung. Doch so einfach ist es nicht. Bleibt man bei der oben verwendeten Sportmetapher, dann würde "avant la lettre" bedeuten, dass der Sieger vollkommen allein an der Ziellinie ankommt, also auch vor den Zuschauern und vor dem Schiedsrichter.

Da ein avant la lettre-Künstler etwas tut, wofür es noch keine Be-Zeichnung gibt, kann er auch nicht adäquat beurteilt werden. Unzählige Künstlermythen ranken sich um dieses traurige Bild: ein Kunst-Prophet, der im eigenen Land und vor allem in seiner eigenen Zeit nichts gilt, der von seinen Zeitgenossen missverstanden, angefeindet, verspottet oder - noch schlimmer - ignoriert wird. Seine Werke verkaufen sich nicht, Galleristen und Kunstkritiker sind nicht interessiert. Wenn er Glück hat, wird er von ein paar Kunstkollegen bewundert. Schließlich sind sie vom Fach und können seine besondere Leistung am ehesten erkennen. Doch nicht einmal ihr Zuspruch ist dem verkannten Genie gewiss. Ein Blick in Künstlerbiografien zeigt, dass viele Künstler ihr Leben lang unter Spott und Desinteresse ihres Umfeldes zu leiden hatten.


Das Sinnbild eines verkannten Genies: "Armer Poet" von Carl Spitzweg (1839, Detail). Mit Regenschirm.

Vollständigkeitshalber sollte angemerkt werden, dass das geschilderte Phänomen des verkannten Genies keinesfalls die Regel bildet. Entgegen des geläufigen Künstlerklischees muss ein Künstler nicht erst sterben, um berühmt zu werden. Im Gegenteil: Die meisten heute bekannten Künstler waren es schon zu ihren Lebzeiten. Und umgekehrt sind viele Künstler verkannt verstorben - und auch verkannt geblieben. Zumindest gehen wir davon aus. Wir kennen sie ja nicht.

Auch heißt es nicht im Umkehrschluss, dass Erfolglosigkeit Genialität garantiert. Denn es ist nicht auszuschließen, dass ein erfolgloser Künstler einfach nur wenig originell und daher zweitrangig ist.

Eine weitere Nuance dieses Phänomens besteht darin, dass erfolgreiche Künstler ihrem Erfolg oft misstrauen: Sie befürchten, allzu banal und beliebig zu sein, wenn ihre Kunst der breiten Masse gefällt. Noch während sie an einem Werk arbeiten (also wortwörtlich "avant la lettre"), fragen sie sich, ob es auch im übertragenen Sinne avant la lettre werden würde, also künstlerisch bedeutsam und seiner Zeit voraus.


Der Impressionist Claude Monet malt "Dame mit Sonnenschirm" (1886), bevor er am Grauen Star erkrankt.

Ob ein Künstler seiner Zeit voraus ist, zeigt sich per definitionem erst später. Aber was ist, wenn sein Werk dem Künstler selbst voraus ist? Tatsächlich geschieht es nicht selten, dass die Nachwelt in einem Werk etwas völlig anderes sieht als sein Autor. Würde Cézanne beispielsweise noch leben, würde er sich sicher darüber wundern, dass seine unfertigen Bilder, vor lauter Frust und Rastlosigkeit immer nur hintereinander an die Wand gestapelt, heute für ihr radikales Unfertig-Sein, das Non Finito gefeiert werden. Und wenn Monet nur wüsste, dass sein Spätwerk, das er fast blind malt und dann, nach einer erfolgreichen grauer Star-OP, aus Wut und Enttäuschung fast komplett vernichtet, heute als Vorboten des Abstract Expressionism gilt!



Halb blind malt Monet die japanische Brücke (1923-25). Und wird damit zum Abstrakten Expressionisten avant la lettre


Mal wieder zeigt sich: Ein Idiom ist mehr als die Summe seiner Bestandteile. Wie ein kleiner, aber feiner Regenschirm springt es auf Knopfdruck auf und schlägt einen weiten Bogen vom Kunsthandwerk über die Kunstgeschichte zur Soziologie und zurück. Und jedes Mal schwingt darin sowohl die Bewunderung der Nachwelt als auch die Borniertheit der Zeitgenossen mit.

Es versteht sich von selbst, dass diese kurze Einleitung nur einen Einstieg in das komplexe Thema Künstlermythen bietet. Zur Vertiefung empfiehlt sich einschlägige Fachliteratur (2) dazu. Hier soll es aber weiterhin um das Idiom "avant la lettre" gehen. Und dieses wird im Folgenden anhand einiger besonders schillernder Beispiele illustriert.


Van Gogh, ein Expressionist avant la lettre. "Brücke im Regen" (1887). Mit mehreren Regenschirmen.

Doch welchen Künstler sollte man dafür auswählen? Bekannt und beinah abgedroschen erscheint hierbei das tragische Schicksal von Vincent van Gogh. 1890 verstirbt er 37jährig infolge eines Selbstmordversuches: in einem Gasthof bei Paris, verkannt, verarmt, psychisch und physisch am Ende. Heute zählt er dagegen zu den populärsten Künstlern der Welt.

Viele seiner Zeitgenossen kritisieren ihrer Zeit van Goghs groben Pinselduktus, seine übersättigten Farben. So bezeichnet sein Malerkollege Cézanne van Goghs Bilder als "Werke eines Verrückten."(3) Man betrachtet sie Ende des 19. Jahrhunderts im Kontext der impressionistischen Malerei, und im Vergleich dazu erscheinen sie zu wenig atmosphärisch, der Farbauftrag zu grob und unbeholfen.

Expressionismus in seiner Bestform: Ernst Ludwig Kirchner, "Japanschirm" (1909)

Aus der heutigen Sicht dagegen wird van Gogh als Wegbereiter des Expressionismus gewertet, einer Kunstbewegung, die erst deutlich später, um 1905 entsteht. Die formale Ähnlichkeit zwischen van Gogh und etwa Ernst Ludwig Kirchner (rechts) ist nicht zu übersehen: Loslösung von der Lokalfarbe, reduzierte Formsprache, expressiver Pinselduktus... Aber auch auf der inhaltlichen Eben kann van Gogh als Expressionist avant la lettre gelten. Im Gegensatz zu den Impressionisten gibt er in seinen Werken nicht das Sichtbare wieder, sondern betreibt Introspektion: Er kehrt seine Innenwelt nach außen und macht seine Gefühlswelt, das Unsichtbare zum eigentlichen Bildmotiv.


Standbild aus dem Animationsfilm "Loving Vincent", 2017. Mit Regenschirm.

Van Goghs tragischer Lebensweg, seine Einsamkeit, seine Verzweiflung, sogar sein abgeschnittenes Ohr gehören heute zum allgemeinen Kulturgut. Sein Werk und seine Biografie verschmelzen darin zu einer untrennbaren Einheit, bei welcher nicht mehr zwischen Mythos und Wirklichkeit unterschieden wird. Nicht umsonst sprießen um seinen Namen Künstlerromane, Spiel- und sogar Animationsfilme. Sein Leidensweg und sein später Erfolg erinnern in groben Zügen an den Leidensweg Christi. Als weltlicher Heiliger wird der liebevoll mit Vornamen titulierte Vincent von unzähligen Fans verehrt und betrauert. Sein Werk, vor allem seine Sonnenblumen sind derart in unserem kollektiven Gedächtnis verankert, dass man bei jedem noch so zufälligen Sonnenblumen-Arrangement automatisch an van Gogh denken muss: eine Art Vincent-Déjà-vu.



Gleichzeitig fungieren van Goghs Sonnenblumenbilder als ein pars pro toto - ein weiteres ergreifend schönes Idiom. Aus Latein übersetzt bedeutet es "ein Teil [steht] für das Ganze". Van Goghs Sonnenblumen stehen demnach stellvertretend für sein gesamtes Werk, ja für das ganze "van Gogh-Universum". Das Phänomen hat sich derart verselbständigt, dass heute eine komplette Merchandise-Industrie von van Goghs ikonischen Sonnenblumen lebt.

Die quasi religiöse Verehrung und leider auch Verkitschung seiner Bilder ist allgegenwärtig. Daher erscheint es an der Zeit, einem anderen, weniger bekannten Künstler etwas Rampenlicht zu schenken. Und weil im Vorfeld Tränen versprochen wurden, sollen sie gleich auch fließen. Es folgt: eine besonders traurige Geschichte, eine Geschichte, die so ergreifend und so filmreif ist, wie die von Vincent van Gogh. Die einen Ritt durch die gesamte Moderne erfordert, um alle losen Enden einzusammeln und zusammenzufügen. Und die dabei auch noch so schön ist, "wie das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem #Seziertisch".


Ein mutmaßliches Foto von Lautréamont. Vielleicht sah er so aus. Vielleicht auch nicht.

Der Autor dieses berühmten Regenschirm-und-Nähmaschinen-Gleichnisses (im Folgenden einfachheitshalber zu R'n'N abgekürzt) ist gleichzeitig auch das Subjekt unserer Geschichte. Ein junger Mann, fast noch ein Jugendlicher. Mit 24 Jahren verstirbt er in seinem Pariser Gasthof, allein und vollkommen unbekannt. An einem mysteriösen "Fieber", heißt es später in seiner Akte. Eine gewisse Ähnlichkeit mit van Goghs Vita ist nicht zu übersehen. Allerdings endet die Geschichte auch schon an dieser Stelle. Viel mehr weiß man nicht über ihn. Seine Geschichte ist daher nicht nur besonders traurig, sondern auch noch besonders kurz. Hätte ihr Held nicht ein Jahr vor seinem Tod ein Buch veröffentlicht, und hätte dieses Buch nicht fünfzig Jahre später für Furore gesorgt, wäre sein Name für immer in der Versenkung verschwunden.


Zu schön, um wahr zu sein: Man Rays Musen weinen Kunsttränen

Anfangs läuft allerdings alles darauf hinaus. Fast wäre die vom Autor vorfinanzierte Buchauflage vollständig eingestampft worden: Sein Verleger Albert Lacroix bekommt im letzten Moment kalte Füße. Zu groß ist seine Angst vor der Staatszensur, zu sittenwidrig ist das kleine Bändchen. Also verweigert Lacroix kurzerhand die vereinbarte Auslieferung an den Buchhandel. Vier Jahre nach dem Tod des Autors kauft ein Brüsseler Buchhändler Lacroix' Lagerbestand überraschend auf. Er versieht das ominöse Buch mit einem neuen Einband, schaltet ein paar Werbeanzeigen in der Presse und bringt es offiziell heraus.

Doch es passiert vorerst: nichts. Niemand interessiert sich für das unbekannte Werk eines unbekannten Autors. Fünfzig Jahre später existieren nur noch wenige Exemplare davon. Und auch sie überleben in den hintersten Regalecken nur deswegen, weil man sie irrtümlicherweise als ein Mathematik-Lehrwerk listet. Eine weitere abstruse Wendung in dieser tragischen Geschichte (wobei das Thema Mathematik tatsächlich eine kleine Nebenrolle darin spielt).


"Arithmetik! Algebra! Geometrie! grandiose Dreifaltigkeit! leuchtendes Dreieck! Wer euch nicht gekannt hat, ist ein Narr!“ (Maldoror, II/10)

Doch dann auf einmal wendet sich das Blatt. 1917 fällt ein verstaubtes Exemplar des bislang unbeachteten Buches in die Hände eines damals genauso unbekannten surrealistischen Dichters Philippe Soupault. In seinen Memoiren schreibt Soupault später: „Beim Licht einer Kerze (...) begann ich die Lektüre. Es war wie eine Erleuchtung. Gleich am Morgen las ich die ‚Gesänge‘ noch einmal, überzeugt, dass ich geträumt hätte… Am übernächsten Tag besuchte mich André Breton. Ich gab ihm das Buch und bat ihn, es zu lesen. Am folgenden Tag brachte er es zurück, ebenso begeistert wie ich." (4)



Man Ray: Hommage an Lautréamont, 1933.

Die Rede ist vom Comte de Lautréamont (eigentlich Isidore Lucien Ducasse, 1846-1870) und seinem Werk "Die Gesänge des Maldoror" (1869) (5). Nach einem halben Jahrhundert als Ladenhüter wird es mit einem Mal aus der Versenkung geholt und zu einem prophetischen Manifest deklariert. Der Wortführer des Surrealismus, André Breton, bezeichnet das Buch extatisch als "die Apokalypse".



"Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer" (1777-79). Goya, ein weiterer Surrealist avant la lettre.

Dabei ist die Geschichte, die Lautréamont in seinem Werk erzählt, böse, sehr böse. Sie handelt von Tod und Mordschlag, von Gewaltphantasien, Drogenkonsum, sexuellen Perversionen, Sadismus, Selbsthass, Wahnsinn... Erwartungsgemäß geht sie auch denkbar schlecht aus. Und auf eine abschließende Moral wartet der Leser am Ende des Buches ebenfalls vergeblich. Vielmehr wird er verstört allein gelassen, nachdem ihm der Autor die Täterperspektive aufgezwungen hat - eine für das 19. Jahrhundert noch recht neue Erzählstrategie. Heute könnte man in den "Gesängen des Maldoror" einen Vorläufer des Psychohorrors sehen. Aber auch den heutigen, Stephen King-gestählten Leser lassen Lautréamonts Schilderungen sicher nicht kalt:

"O! ist es süß, ein Kind, dem noch nichts auf der Oberlippe wächst, brutal aus dem Bett zu reißen und, die Augen weit geöffnet, so zu tun, als führe man sanft mit der Hand über seine Stirn, um die schönen Haare zurückzustreichen! Dann plötzlich, in dem Augenblick, wenn es dies am wenigsten erwartet, die langen Nägel in seine weiche Brust zu graben, aber so, daß es nicht stirbt; stürbe es nämlich, könnte man es später nicht leiden sehen." (1. Gesang, 6. Strophe; 6)


"Die Gesänge des Maldoror", Originalausgabe von 1890. Frontspitz von José Roy. Mit Regenschirm?

Seite um Seite reiht Lautréamont Allmachtphantasien auf apokalyptische Landschaften, Gotteslästerung auf abstruse Wortspielereien. Es folgen: Selbstverunglimpfung auf Selbstverteidigung, Beschimpfungen des Lesers im Besonderen respektive der Welt im Allgemeinen, und alles derart umständlich formuliert, dass der Leser nur mühsam durch den syntaktischen Morast der Sätze steigt. Zum besseren Verständnis des Sprachstils von Lautréamont, als ein weiters pars pro toto findet sich unten in der Fußnote eine zweite, etwas längere Passage (6). Und wer nicht genug davon bekommen kann, der fühle sich eingeladen, die "Gesänge" als totum zu lesen, zum Beispiel unter diesem Link.


René Magritte hat 1948 "Die Gesänge des Maldoror" illustriert. Hier eine Vorskizze dazu.

Aus der Sicht der Zeitgenossen mögen "Die Gesänge des Maldoror" extrem provokant und unsittlich erscheinen. Neu sind ihre Themen allerdings nicht. Vielmehr stehen sie im Kontext der sogenannten Schwarzen Romantik, welche sich Ende des 18. Jahrhunderts als eine eigene literarische Gattung herausbildet. Die Schwarze Romantik schlägt in dieselbe moralische Kerbe wie Lautréamont: Mit ihrer Ästhetisierung des "Bösen" stellt sie einen vorsätzlichen Angriff auf die geltende Moral dar.

Der Staat und die Kirche schlagen mit harten Sanktionen zurück. So wird der französischer Dichter Charles Baudelaire nach dem Erscheinen seiner "Blumen des Bösen" (1857) wegen "der Beleidigung der öffentlichen Moral und der guten Sitten" zu einer Geldstrafe verurteilt. Sechs seiner Gedichte werden verboten und müssen aus dem Gedichtband entfernt werden. Die Angst Lautréamonts Verlegers vor einer möglichen Strafverfolgung ist somit nicht unbegründet. Lord Byron, Edgar Allan Poe, Arthur Rimbaud - wie Lautréamont provozieren sie bewusst mit skandalösen Themen und stochern bevorzugt in gesellschaftlichen Tabus herum: Geschwisterliebe, Homosexualität, Nekrophilie...


Auge in Auge mit inneren Dämonen: Salvador Dalí bei der Arbeit (1940).

Dabei greift die Schwarze Romantik auf etwas vor, was erst Jahrzehnte später wissenschaftlich erforscht werden soll: das Unterbewusstsein. Am Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, das zuerst viel diskutierte und dann viel kritisierte Drei-Instanzen-Modell. Darin unterteilt er die menschliche Psyche in Es, Ich und Über-Ich: Die triebhafte Natur des Menschen, das Es, schlummere nach Freud im Unterbewusstsein. Von dort aus ziehe Es an den Entscheidungsfäden. Das Über-Ich, unser innerer Wertekompass, steuere kontinuierlich dagegen. Die Aufgabe von Ich sei nach Freud, in diesem dauerhaft gärenden Konflikt zwischen den angeborenen Trieben (Es) und dem anerzogenen Gewissen (Über-Ich) zu vermitteln.


Max Ernst: "Die Versuchung des heiligen Antonius", 1945. Ob Regenschirme oder nicht, Speichen sind vorhanden.


Dieses Modell beschreibt Freud erstmalig 1923 in seiner Schrift Das Ich und das Es. Seitdem wird es in der Fachliteratur immer wieder hinterfragt und diskutiert (7). Dabei ist der von Freud beschriebene Grundkonflikt kein neues (und auch kein neuzeitliches) Phänomen. So kommt das Motiv der Versuchung wiederholt in der Bibel vor, etwa bei der Versuchung Jesu in der Wüste (Markus 1/11; Lukas, 4). Selbst in unserer säkularisierten Zeit wird der Konflikt zwischen Über-Ich und Es, dem Guten und dem Bösen, dem Gewissen und den Trieben gern von einem Engel und einem Teufel verkörpert. In der Regel setzt sich am Ende das Gute durch. Doch wenn das Ich von seinen animalischen Trieben überrollt wird, triumphiert das Lustprinzip und mit ihm das "Böse". "Die Gesänge des Maldoror" spielen dieses Worst-Case-Scenario bis zum bitteren Ende durch. Daher stellen sie in gewisser Weiseeine psychologische Fallstudie avant la lettre dar. Allerdings nicht aus der Sicht eines Psychoanalytikers, sondern aus der Sicht eines Psychopathen.


"Freuds Gehirn hat die Form einer Spirale," freut sich Dalí. Es "kann mit einer Nadel herausgezogen werden!" Am Ende bleibt er doch bei Stift und Papier. "Freud", 1938.

Mit Freudschen Themen wie Unterbewusstsein, Triebhaftigkeit und Versuchung befassen sich auch die Surrealisten. Auch sie erforschen seelische Abgründe, abnorme Verhaltensweisen, Ängste und Träume. Nun müssen sie sich aber deswegen nicht vor einer Gefängnisstrafe fürchten wie ihrer Zeit Baudelaire oder Lautréamont: Inzwischen hat sich selbst in den finstersten Philister-Kreisen herumgesprochen, dass ein Autor und ein Erzähler nicht ein und dieselbe Person sein müssen. "Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden:" ein Satz, der offenbar auch heute noch nötig ist, um den Autor vor jeder Mitschuld freizusprechen. Und wenn alle Stricke reißen, kann er sich zur Not auf Sigmund Freud & Partner berufen. Diese sichern ihm ein stichfestes, wissenschaftlich fundiertes Alibi. Die Surrealisten profitieren als erste Künstlergeneration von dieser Freudschen Rückendeckung. "Der masturbierende Hitler", "Der herbstliche Kannibalismus" oder "Die autosodomisierte Jungfrau" (allesamt Bildtitel von Dalí): Nun dürfen alle Abnormitäten der menschlichen Psyche ganz offiziell aus ihrem Schneckenhaus herausgepult und bestaunt werden. Nur zu Forschungszwecken, versteht sich. Avant la lettre versus Gnade der späten Geburt: Beides hat Vor- und Nachteile.


Mehr Lautréamont geht nicht: Dalís "Nähmaschine mit Regenschirm in einer surrealistischen Landschaft" (1941)


Unter den vielen surrealistischen Künstlern, die sich mehr oder weniger explizit auf Freud berufen, sticht Salvador Dalí in mehrfacher Hinsicht hervor. Einerseits studiert er akribisch Freudsche Schriften; andererseits setzt er alle Hebel in Bewegung, um Freud persönlich kennenzulernen. 1938 besucht er ihn schließlich in seinem Londoner Exil.

Doch die Begegnung verläuft weniger spektakulär als erwartet. Zwar gratuliert Freud Dalí zu seinem virtuosen Malkönnen. Allerdings nimmt er ihm seine "paranoisch-kritische" Methode nicht ab. "In Ihren Bildern suche ich nicht das Unterbewusste, sondern das Bewusste [...]. Bei Ihnen liegt das Mysterium auf der Hand. Das Bild ist nur ein Mechanismus, der das Geheimnis aufdeckt," kanzelt er Dalí kurzerhand ab - und erklärt den selbsternannten Paranoiker für gesund (8).


Dalís Illustration zu den "Gesängen des Maldoror" (1934): Ohne Regenschirm, aber mit Nähmaschine.

Dalí rächt sich später, indem er während eines Restaurant-Besuchs eine bühnenreife Erleuchtung inszeniert. "Freuds Schädel ist ein Schneckenhaus!" ruft er beim Anblick gekochter Schnecken aus. "Sein Gehirn hat die Form einer Spirale und kann mit einer Nadel herausgezogen werden!" (9)

Dalís Gefolgschaft ist entzückt. Vermutlich hofft sie auf eine sofortige Vollstreckung. Doch letztlich bleibt Dalí bei seinen Leisten beziehungsweise Mal-Utensilien - auch wenn seine Vorliebe für Nadeln, Messer, Nähmaschinen, Regenschirme und andere spitze Gegenstände nur allzu gut dokumentiert ist. Bewundern lässt sie sich zum Beispiel auf seinem Stich rechts.

Dalí als leidenschaftlicher Stecher und Tranchierer: An dieser überraschenden Schnittstelle treffen Lautréamont und Freud aufeinander. Beide werden von den Surrealisten bewundert, beide üben einen mehr oder weniger offensichtlichen Einfluss auf ihre Werke aus. In seiner "paranoisch-kritischen Methode" verknüpft Dalí Freud und Lautréamont zu einer fruchtbaren Einheit. In „Die Eroberung des Irrationalen“ (1935) bringt er diese auf den Punkt (10):


„Mein ganzer Ehrgeiz auf dem Gebiet der Malerei besteht darin, die Vorstellungsbilder der konkreten Irrationalität mit der herrschsüchtigsten Wut der Genauigkeit sinnfällig zu machen.“

Sein Patentrezept klingt komplizierter, als es ist. Tatsächlich übernimmt Dalí lediglich die approbierte Schock-Methode von Lautréamont und vervollständigt sie mit den Erkenntnissen der Psychoanalyse. Dabei seziert er das amöbenhaft Diffuse des Unterbewusstseins mit der handwerklichen Präzision eines Chefchirurgen. Banale Gebrauchsgegenstände werden in ein neues Umfeld transplantiert, wo sie mit weiteren Fremdkörpern verwoben werden. Festes wird flüssig, Flüssiges wird fest, bizarre Apparaturen und scharfe Klingen verstärken den Überraschungseffekt (links: Herbstlicher Kannibalismus, 1936).

Die Ähnlichkeit zu Lautréamonts Gleichnis ist hierbei offensichtlich: In beiden Fällen werden Gebrauchsgegenstände auf eine überraschende Weise mitaneinander verknüpft. Und in beiden Fällen tritt der Überraschungseffekt keinesfalls zufällig ein, sondern ist wohl kalkuliert.


Dalí im Kielwasser von Lautréamont: Da wird schon mal das eine oder andere angespült. "Hummer", 1936

Oftmals greift Lautréamont bei seinen Gleichnissen auf sehr technische Geräte zurück, mit denen er die Modernität feiert und sich selbst als ihren Teil markiert. Seine Vorliebe für Automaten, Maschinen und Spezialwerkzeug aller Art findet sich auch in surrealistischen Werken wieder. So fertigt Dalí Assemblagen an, bei denen er industriell hergestellte Objekte verwendet, wie das Telefon rechts.

Aber nicht nur auf dieser formalen Ebene inspiriert Lautréamont die Surrealisten. Ihr Anti-Held Maldoror trifft mit seinem sexualisierten, gewaltbereiten und triebgesteuerten Verhalten offenbar den Nerv der Zeit: Im politisch wie emotional aufgeladenen Klima des frühen 20. Jahrhunderts, das permanent überkocht und überall auf der Welt Kriege, Umstürze und Revolutionen zur Folge hat, propagieren auch Avantgarde-Künstler vielfach Gewalt. So ruft der Wortführer des italienischen Futurismus, Filippo Tommaso Marinetti, schon 1909 den totalen (Kunst-)Krieg aus. In seinem "Futuristischen Manifest" (11) schreibt er:


"Wir wollen den Krieg verherrlichen - diese einzige Hygiene der Welt! Kunst kann nur Gewalt sein, Grausamkeit sein."

"Steckt die Bibliotheken in Brand!Leitet die Kanäle ab, um die Museen zu überschwemmen! Lasst sie dahintreiben, die glorreichen Bilder! Nehmt Spitzhacken und Hammer! Untergrabt die Grundmauern der hocherwürdigen Städte!" Marinettis Zerstörungswut sowie sein pathetischer Schreibstil erinnern verdächtig an Lautréamont. Dabei kann Marinetti ihn gar nicht gekannt haben. Man erinnere sich: Im Jahr 1909 verstauben "Die Gesänge des Maldorors" in der Mathematik-Abteilung Pariser Antiquare. Wenn Marinetti sowie zahlreiche anderen Künstler sich also radikalisieren, dann ganz ohne Lautréamonts Zutun. Wie viele seiner Künstlerkollegen meldet sich auch Marinetti freiwillig zum Kriegsdienst (rechts in Uniform, 1915). Später schließt er sich dem Faschismus an, wird Mussolinis Kultusminister, kämpft für Hitler 1944 bei Stalingrad... 1909 aber, auf der Schwelle zum Ersten Weltkrieg, ist er noch weit davon entfernt. Sein "Futuristisches Manifest" klingt noch sehr theoretisch. Noch hat Marinetti kein Blut geleckt, noch will er nur spielen. Und so sagt sein Text weniger über Marinettis politische Gesinnung aus als vielmehr über die Stimmungslage seiner Generation, deren latente Alarmbereitschaft unabhängig von Maldoror in handfeste Gewalt umkippt.


Der Futurist Umberto Boccioni zeigt, wie Fortschritt geht: "Einzigartige Formen der Kontinuität im Raum" (1913)

Ob Futuristen in Italien, Konstruktivisten in Russland oder Expressionisten in Deutschland - viele Zeitgenossen Marinettis teilen seine Ansichten. So schreibt der Expressionist Franz Marc an seinen Malerkollegen Wassily Kandinsky in einem Brief von 1914: "Ich selbst lebe in diesem Krieg. Ich sehe in ihm sogar den heilsamen, wenn auch grausamen Durchgang zu unseren Zielen; er wird die Menschen nicht zurückwerfen, sondern Europa reinigen, ‚bereit‘ machen (...). Oder gibt es einen einzelnen Menschen, der diesen Krieg ungeschehen wünscht?“ (12)


Ernst Ludwig Kirchner portraitiert sich 1915 in Uniform - und ohne sein wichtigstes Mal-Werkzeugs: seine rechte Hand.

Allerdings schlägt die Stimmung im Laufe des Ersten Weltkrieges um. Aus einer fröhlichen Geschichte werden schnell viele traurige. Zahlreiche Künstler, die voller Begeisterung in den Krieg ziehen, kehren als gebrochene Männer zurück - oder gar nicht. Der bereits erwähnte Expressionist Ernst Ludwig Kirchner erleidet gleich in den ersten Monaten an der Front einen Nervenzusammenbruch. Davon erholt er sich nie wieder; 1938 nimmt er sich schließlich das Leben. Der Expressionist August Macke fällt gleich in den ersten Kriegstagen. Sein Mitstreiter Franz Marc sowie der Futurist Umberto Boccioni fallen im Jahr 1916. Die Surrealisten Sopault, Appolinaire und Breton kehren als geläutete Pazifisten zurück.

Im Jahr 1917, dem Jahr Lautréamontscher Auferstehung, scheint die Kriegseuphorie endgültig überwunden. Nicht aber die Verherrlichung von Gewalt: Viele Avantgardisten halten sie weiterhin für ein legitimes Mittel, um ihre Ziele durchzusetzen und das verhasste Establishment vom Sockel zu reißen. Doch während Marinetti sich für den rechten Flügel entscheidet, treten Surrealisten vermehrt der PCF (Partie Communiste Française) bei. Umsturz und Gewalt werden dabei von beiden Flügeln befürwortet. In seinem "Zweiten Manifest des Surrealismus" (1929) postuliert Breton (13):


"Die einfachste surrealistische Handlung besteht darin, mit Revolvern in den Fäusten auf die Straße zu gehen und blindlings soviel wie möglich in die Menge zu schießen."

Als erklärter Pazifist schwingt Breton fröhlich das Kriegsbeil: Eine von vielen Unschärfen, wo Metapher und Faktisches verschwimmen. An dieser Stelle sei lediglich festzuhalten: Die Zeit der aufrührerischer Manifeste ist auch nach dem Ersten Weltkrieg noch lange nicht vorbei. Erst vor diesem historischen Hintergrund wird deutlich, warum Lautréamonts Worte 1917 auf einen so fruchtbaren Boden fallen.


Die Hüter des Heiligen Nonsens: Die Surrealisten-Gruppe in Paris, 1930

Von links nach rechts: Tristan Tzara, Paul Eluard, André Breton, Jean Arp, Salvador Dalí, Yves Tanguy, Max Ernst, René Crevel und Man Ray (Detail). Fotografie von Man Ray.


André Breton (1924). Mit Brille.

Offen bleibt allerdings die Frage, warum gerade Maldoror die Surrealisten derart beeindruckt. Schließlich ist er nicht der einzige Anti-Held der Literaturgeschichte. Im Schauerroman des 19. Jahrhunderts finden sich viele andere durch und durch böse Anti-Helden. Warum nicht etwa "Frankenstein" von Mary Shelley (1818)? Oder "Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde" (Robert Louis Stevenson; 1886)? Oder die schaurigen Kurzgeschichten von Edgar Allan Poe (1809-1849)? Sie alle könnten als Psychopathen-Studien avant la lettre gelten; sie alle verstoßen gegen geltende Moralvorstellungen und lassen tief in die Abgründe "verlorener Seelen" blicken.

Selbst Lautréamont relativiert seine Einzigartigkeit, indem er an den Baudelaire-Verleger Auguste Poulet-Malassis 1869 schreibt: "Ich habe das Böse besungen, wie Mickiewickz, Byron, Milton, Southey, A. de Musset, Baudelaire und andere es getan haben. Natürlich habe ich die Register ein wenig übertrieben gezogen, (...) um den Leser zu bedrücken und ihn dadurch das Gute als Heilmittel wünschen zu lassen. Infolgedessen ist es immer das Gute, das man besingt, nur ist die Methode eine philosophischere und weniger naiv als die der alten Schule (...). Ist dies das Böse? Nein, gewiss nicht. (4)


Konkrete Poesie oder doch nur ein Schirm? Lautréamonts Werke, 1938 von den Surrealisten herausgebracht.

Zugegebenermaßen spielt Lautréamont das von ihm besungene Böse herunter, um einen neuen Verleger für sich zu gewinnen, nachdem der alte abgesprungen ist. Dennoch zeigt seine Autoren-Genealogie deutlich: Mit seinem Thema Madness befindet sich Lautréamont in guter Gesellschaft. Was zeichnet ihn also in den Augen der Surrealisten aus?

Auf diese Frage liefert Breton eine überraschende Antwort: Es sei weniger der spektakuläre Inhalt seines Werkes, als vielmehr dessen Form, die ihn fasziniere: "Dieses Werk (…) ist die Apokalypse. Alles noch so Kühne, das man in den kommenden Jahrhunderten denken und unternehmen wird, es ist hier in seinem magischen Gesetz im Voraus formuliert worden. Die Sprache (...) gerät mit Lautréamont in eine schwere Krise, sie markiert einen Neubeginn. Die Grenzen sind gefallen, in denen Worte in Beziehung zu Worten, Dinge in Beziehung zu Dingen treten können. Ein Prinzip ständiger Verwandlung hat sich der Dinge wie der Ideen bemächtigt und zielt auf ihre totale Befreiung ab, die die des Menschen impliziert. Was dies betrifft, ist Lautréamonts Sprache ein unvergleichliches Lösungsmittel und Kleinplasma zugleich." (4)


Regenschirm-Erleuchtung am Klavier. Nacherzählt von Edith & Corcal in "La chambre de Lautréamont" (2017)

Wie schon zuvor bei Dalí verbirgt sich hinter diesem umständlichen Text eine recht einfache Aussage: Breton sieht Lautréamonts Hauptverdienst darin, die Sprache von ihrer inhaltlichen Bürde befreit zu haben. Tatsächlich liegen die Unterschiede zwischen Lautréamont und seinen Zeitgenossen weniger auf der inhaltlichen, als vielmehr auf der formalen Ebene. Während die meisten Werke der Schwarzen Romantik zwar böse, aber durchaus zusammenhängende Geschichten erzählen, kreist Lautréamont vor allem um die Frage der Form. Zuweilen scheint sich seine Sprache vollkommen zu verselbständigen und ins sinnfreie Assoziieren abzudriften.

Eine zentrale Rolle spielt dabei die Rhythmik, wie es sich bereits bei der Namensgebung des Buches manifestiert: "Die Gesänge." Darüber hinaus berichtet Lautréamonts abtrünniger Erst-Verleger Albert Lacroix, dass sein Schützling „nur des Nachts an seinem Klavier“ schrieb, „wo er laut deklamierte, wild in die Tasten schlug und zu den Klängen immer neue Verse heraushämmerte“ (4). Der Klang seiner Prosa war ihm demnach genauso wichtig wie ihr Inhalt.


"Junge Frau mit Regenschirm" (1926), vom Teilzeit-Surrealisten Francis Picabia zer-teilt.

Somit zeichnet sich mit Lautréamont eine Tendenz ab, die später in der Verselbständigung der künstlerischen Mittel gipfelt. In Abgrenzung zur "alten", akademischen Tradition will die Kunst der Avantgarde keine Geschichten mehr erzählen, keine narrative Funktion mehr erfüllen - überhaupt gar keine Funktion, egal ob dekorativ, repräsentativ, politisch oder didaktisch. Vielmehr soll sie sich auf ihre jeweilige mediumspezifische Form besinnen, ihre eigenen Mittel erforschen, in letzter Instanz l'art pour l'art sein: Kunst um der Kunst selbst willen.

Diesem Appell folgend, betreiben Künstler des frühen 20. Jahrhunderts eine exzessive Grundlagenforschung. Maler experimentieren mit Farben, Texturen, Formaten, Pinselduktus - letztlich mündet diese Entwicklung in der vollständigen Abstraktion. Spiegelbildlich dazu wenden sich Literaten ihrem ureigenen Medium, der Sprache, zu. Um diese von der Narration zu befreien, schreiben sie ihre Gedanken unzensiert, unstrukturiert und rein assoziativ, in einem einzigen Bewusstseinsstrom nieder.

Diese Methode der écriture automatique wird erstmalig um 1889 vom französischen Psychotherapeuten Pierre Janet angewandt. Um das Unbewusste ins Bewusstsein zu holen, versetzt Janet seine Patienten in Trance und lässt sie dabei ihre Gedanken protokollieren.

Die Surrealisten übernehmen diese psychotherapeutische Methode und widmen sie zu einem literarischen Stilmittel um: eine weitere fruchtbare Verbindung von Kunst und Psychologie. Letztlich mündet diese anti-narrative Entwicklung in Konkreter Poesie, dem Pendant zur abstrakten Malerei.


Apollinaires "Figurengedicht" von 1915, auch Kalligramm genannt. Ohne Schirm, aber mit Hut.

Einer der Hauptvertreter der Abstrakten Poesie ist der französische Dichter Guillaume Apollinaire, ein enger Freund und Mitstreiter von André Breton. Von Apollinaire stammt auch die Wortschöpfung "surreal", die, aus dem Französischen übersetzt, über-real bedeutet. Demnach gibt die surrealistische Kunst nicht das Reale wieder, sondern steht darüber.

Apollinaire verwendet den Begriff erstmalig 1917, also lange bevor es die Surrealisten-Gruppe gibt. Somit ist er wahrhaftig ein Surrealist avant la lettre: Nicht nur weil er Surreales dichtet, bevor es den Surrealismus gibt, sondern auch weil er dessen Be-Zeichnung prägt, also "la lettre" im wörtlichen Sinne. Allerdings erlebt Apollinaire die Gruppengründung im Jahr 1924 nicht mehr: Zwar darf er 1916 aufgrund einer Kopfverwundung vorzeitig von der Front zurück. Doch 1918 verstirbt er 38jährig an der Spanischen Grippe, die gerade in ganz Europa wütet. Somit geht der Surrealismus 1924 ohne Apollinaire 1924 an den Start - eine weitere traurige und viel zu kurze Geschichte.

"Oh Hercules, oh Frau Cules" (1948). Eine surrealistische Collage von Max Ernst. Mit Regenschirm.

Dabei steht die Entstehung des Surrealismus im direkten Zusammenhang mit der Künstlergruppe Dada: Einer spontanen Vereinigung von intellektuellen Kriegsverweigerern, die sich 1916 in Zürich zusammenschließen, um Anti-Kunst zu betreiben. Auch sie experimentieren mit Sprache, schreiben Lautgedichte, veranstalten Nonsens-Lesungen und lösen sich schließlich auf, als ihnen ihr eigenes Gruppen-Korsett zu eng wird. Einige der Dadaisten wechseln später zu den Pariser Surrealisten, doch die meisten gehen ihre eigenen Wege, fernab von Gruppen und festen Regeln.

Und davon gibt es bei den Surrealisten zu Genüge. Als Gruppen-Oberhaupt hat Breton sehr genaue Vorstellungen davon, was sich für einen Surrealisten gehört und was nicht. Die aus dem Gedanken einer Anti-Kunst entstandene Gruppe verfällt bald in einen derartigen Dogmatismus, dass einige ihrer ältesten Mitglieder aus der Gruppe austreten. Andere werden von Breton persönlich exkommuniziert. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs setzt schließlich diesen Rangeleien ein Ende: Krieg geht vor Glaubenskrieg vor.


"Die Schönheit wird KONVULSIV sein oder sie wird nicht sein," so Breton in "Nadja". Oder Nadja zu Breton? (1928)

Doch bei allen ihren Streitereien sind sich die Surrealisten in einem Punkt einig: ihrem Aufbegehren gegen die Norm. Alles, was subversiv, impulsiv und kovulsiv daherkommt, erregt ihr Interesse. Während Lautréamont sich von Musikrhythmen inspirieren lässt, findet Breton seine Inspiration bei der psychisch verwirrten, dabei aber enigmatischen und eloquenten Léona Delcourt. Mit seinem Roman "Nadja" (1928) setzt er ihr ein surrealistisches Denkmal.

Breton soll Delcourt zufällig auf der Straße begegnet sein. Seinem autobiographischen Roman zufolge lässt er sich von ihr sogleich in ihren Bann ziehen. Zehn Tage lang begleitet er sie bei ihren Streifzügen durch Paris. Eigentlich sei Nadja gar nicht ihr echter Name, erklärt die Protagonistin en passant. Sie nenne sich nur so: "Nadja, weil im Russischen das Wort Hoffnung damit anfängt, und weil es nur der Anfang ist" (14). Auf die Frage, wie man sie telefonisch erreichen könne, erwidert sie: "Man erreicht mich nicht." Tatsächlich entzieht sie sich Breton immer wieder, um ihm gleich darauf nachzustellen; es ist ein bizarres Katz-und-Maus-Spiel vor einer großstädtischen Kulisse. Nadjas kurzen Sätze bleiben Breton und später dann dem Leser lange in Erinnerung. "Die Schönheit wird KONVULSIV sein oder sie wird nicht sein," verkündet sie am Ende des Buches. Ist es ein Gegenentwurf zu Lautréamontschen Schönheitsdefinition? Und wie ist das später oft zitierte Wort "konvulsiv" gemeint?


Giorgio De Chirico: "Geheimnisvolle Bäder" als Bild (1938) und als Springbrunnen (1973). Mit Regenschirm.

Bei Breton findet man an einer anderen Stelle einen alternativen Begriff dazu: überraschend. Dabei beruft sich Breton auf eine Aussage von Giorgio De Chirico (links), den großen italienischen Maler der Pittura Metafisica. Dieser würde nur dann malen, wenn er einem besonders überraschenden Motiv begegne (15). Nach Breton ist dieses Überraschungsmoment die treibende Kraft jeder Kreativität.

Hiermit wäre gleichzeitig das dritte Merkmal Lautréamonts benannt, das ihn zum "Großvater des Surrealismus" (16) avancieren lässt. Neben seiner extrem blutrünstigen, anarchistischen Inhalten und der Verselbständigung der künstlerischen Form erschafft er in seinen "Gesängen" immer neue, überraschende Bilder, die es vor ihm in dieser Form noch nie gegeben hat - wie etwa die vermeintlich zufällige, in Wirklichkeit aber durch und durch vorsätzliche Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms.

Tatsächlich sind es zwei sehr prosaische, technisch komplexe Gegenstände. Und tatsächlich wurden sie noch nie zuvor in einem literarischen Atemzug genannt. Der Seziertisch darunter bildet das I-Tüpfelchen darauf: Er verspricht höchste Präzision bei einer vollkommenen Willkürlichkeit des bevorstehenden Eingriffes, denn die Frage nach dem Wie stellt sich hier genauso dringlich wie die Frage nach dem Warum. Würde man diesen Gedanken zu Ende denken und die beiden Gegenstände tatsächlich verknüpfen, dann würden sie in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt und somit unbrauchbar sein. Die angestrebte Handlung wäre demnach selbstzerstörerisch oder zumindest selbst blockierend. Vielleicht eine Form von self-handicapping?


"Vergessen, wie ein Regenschirm", klagt die Dadaistin Elsa von Freytag-Loringhoven (1924).

Die Surrealisten lesen aus diesem Gleichnis etwas anderes heraus. Für sie steht der Regenschirm für das Männliche und die Nähmaschine für das Weibliche. So schreibt Breton gewohnt umständlich: "Bedenkt man, welch außerordentliche Wirkung im Geist des Lesers Lautréamonts berühmter Satz zeitigen kann: 'Schön wie die zufällige Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch', und zieht man zur Deutung die einfachsten Sexualsymbole heran, so wird man sehr bald auf das Geheimnis der Wirkung kommen; der Regenschirm kann hier nur den Mann bedeuten, die Nähmaschine die Frau (wie übrigens die meisten Maschinen, wobei noch hinzukommt, daß Frauen die Nähmaschine, wie man weiß, häufig zum Onanieren verwenden [!]) und der Seziertisch das Bett, das seinerseits Leben und Tod auf einen gemeinsamen Nenner bringt." (17)


Wasserspeichernd statt wasserabweisend: Der Schirm von Wolfgang Paalen (1937) setzt sich aus Naturschwämmen zusammen.

Der sublimierte Geschlechtsakt auf dem Seziertisch wäre mit allen Risiken und Nebenwirkungen behaftet, die sich aus den beteiligten Spitzen, Speichen und Nadeln ergeben. Die überraschend simple Moral von der Geschichte: Mann und Frau sind für eine dauerhafte Verbindung nicht geschaffen. Gelegentliche Perforation ja, lebenslange Ehe nein. Stattdessen plädiert Breton für freie Liebe, unter anderem in seinem Roman "L'Amour Fou" (1937). Die Institution der Ehe erachtet er dagegen - wie viele anderen Surrealisten auch - für überholt (17). Ironischerweise zieht er aus dieser Erkenntnis keine persönlichen Konsequenzen. Sehenden Auges schließt er stattdessen den Bund fürs Leben - und zwar drei Mal hintereinander.



Christo avant la lettre. "L’Enigme d’Isidore Ducasse" (1920): Man Ray lässt Lautréamonts Nähmaschine verschwinden.

Nicht nur an diesem Beispiel wird deutlich, dass surrealisische Radikalität an der Praxis scheitert. So tappt Breton bei seiner Interpretation Lautréamontschen Gleichnisses in dieselbe Falle, vor der er seine Leser immer warnt: Er stülpt einem Kunstwerk seine eigenen Wertvorstellungen über.

Auch seine durch und durch "realistische", plakative Deutung des Regenschirm-Gleichnisses als Kampf der Geschlechter enttäuscht. In seinen Schriften tritt Breton schließlich als großer Realismus-Gegner auf: "Die realistische Haltung ist mir ein Greuel, denn sie ist aus Mittelmäßigkeit gemacht, aus Haß und platter Selbstgefälligkeit," zürnt er im "Ersten Manifest des Surrealismus" 1924 (18).



Zeichnung von Tim Swezy, 2017. Eins der vielen Hommages an Lautréamont im Netz.

Dass Breton das Regenschirm-Gleichnis auf die banale Formel "cherchez la femme" herunterbricht, wird Lautréamont nicht gerecht. Zum einen verkennt Breton dabei den Originaltext. Denn die ursprüngliche Passage gilt einem Jüngling, dem der Protagonist Maldoror auf der Straße begegnet und dessen Schönheit ihn aufs äußerste überrascht. Neben Regenschirm und Nähmaschine fallen dort noch weiteren Vergleiche: Der 16jährige Mervyn sei schön wie "die Einziehbarkeit der Fänge von Raubvögeln", wie "die Muskelbewegungen (...) des hinteren Nackens" oder auch wie eine "dauernd wirksame Rattenfalle" (19). Diese wahrhaftig unbeschreibliche Schönheit Marvyns nutzt ihm allerdings wenig: Letztlich wird auch er von Maldoror hingerichtet. Doch im Bezug auf das R'n'N-Gleichnis wird zumindest klar, dass es keinesfalls auf ein Mann-Frau-Dilemma herunterzubrechen ist.


Arnolfini-Hochzeit von Jan van Eyck (1434): Was Magritte sein Regenschirm, ist van Eyck sein Hut.

Zum anderen verbirgt sich hinter Bretons Deutung ein erschreckend chauvinistisches Weltbild. Der reisetaugliche, weltmännische Regenschirm wird dem Mann zugewiesen, die Frau dagegen hinter einer tonnenschweren Nähmaschine geparkt. Wie Penelope muss sie ihre Zeit mit Handarbeit totschlagen, während ihr Geliebter sein phallisches Accessoire spazieren fährt. Eine klassische Aufgabenteilung: Der Mann erkundet die Welt, die Frau hütet das Heim. Die "Arnolfini-Hochzeit" von Jan van Eyck vermittelt dasselbe Bild: Während der Mann vor einem Fenster steht und samt Hut und Straßenschuhen auf dem Sprung zu sein scheint, bleibt der trächtigen Ehefrau nur die Flucht nach hinten, nämlich ins Ehebett. Diese patriarchalische Rollenverteilung mag bei van Eyck, im Jahr 1434, wenig überraschen. Doch wenn ein Bürgerschreck wie André Breton 600 Jahre später dasselbe Lied einstimmt, überrascht es umso mehr.


Das Element Wasser: im Glas aufgehoben, vom Schirm abgestoßen. "Hegels Ferien" (1958) von Magritte.

Bretons R'n'N-Deutung ist somit in mehrfacher Hinsicht unbefriedigend: Nicht nur verkennt sie den inhaltlichen Kontext und reduziert das R'n'N-Gleichnis auf eine heterosexuelle, einfältige Bettgeschichte. Darüber hinaus wird Bretons Versuch, das Gleichnis symbolhaft zu interpretieren, Lautréamonts Vieldeutigkeit nicht gerecht. Indem Breton jedem Gegenstand exakt eine Bedeutung zuweist (Regenschirm = Mann, Nähmaschine = Frau, Seziertisch = Bett), schließt er alle anderen potentiellen Deutungen aus. Auch in diesem Punkt widerspricht er dem eigentlichen Selbstverständnis der Surrealisten, die sich als "Magier der Mehrdeutigkeit" (20), der rätselhaften Bilder und der losen Enden definieren. Dalís Gemälde "Das endlose Rätsel" bürgt dafür mit seinem Namen; Magrittes Wasserspiele (links) versprechen auch keine einfachen Lösungen. Und auf seine Eingangsfrage in "Nadja", "Wer bin ich?" (s. das Bild oben), hat Breton bis heute nicht geantwortet.

Nähmaschinen sind in der Kunstgeschichte seltener als Regenschirme. Aber es gibt sie. Konrad Klapheck, 1984

Entgegen Bretons eindimensionaler Deutung bleibt Lautréamont somit ambivalent. Und gerade dank dieser Ambivalenz gilt er heute als Surrealist avant la lettre. Schließlich steht sein Werk über dem Realen. In den "Gesängen des Maldoror" gießt er das Irrationale in Sprache, lange bevor es Sigmund Freud und die Surrealisten tun können. Während das R'n'N-Gleichnis bei Lautréamont nur eine Nebenrolle spielt, wird es von den Surrealisten als pars pro toto für ihr Lieblings-Kompositionsmittel, die Montage, gefeiert. Seitdem regnet es in der Kunst nur noch abstruse Verpaarungen. Fahrräder werden mit Hockern vermählt, Fett auf Badewannen geschmiert, Stoffbahnen um den Reichstag gewickelt... Wer googlet, der findet; an Beispielen mangelt es nicht.


Edward Hopper: Mädchen an einer Nähmaschine, 1921

Darüber hinaus geistern seit Lautréamont unzählige Regenschirme durch die Kunstgeschichte. Nähmaschinen sind etwas rarer, aber auch die kommen vor. Und wo immer sie auftauchen, werden sie vom kunstaffinen Betrachter gleich als R'n'N-Gleichnis gedeutet. Dabei ist es nebensächlich, ob dies vom Autor beabsichtigt ist oder nicht: Der wissende Betrachter zieht seine eigenen Schlüsse.


Regenschirme, wohin das Auge reicht: "The Umbrellas Japan-USA" von Christo und Jeanne-Claude (1984-91)


Noch komplizierter wird es, wenn es sich dabei um einen Künstler handelt, der seinerzeit gar keine Kenntnis von den "Gesängen des Maldoror" haben konnte. Wenn beispielsweise ein impressionistischer Maler wie Gustave Caillebotte (1848-1894) eine Komposition malt, die bevölkert ist von Regenschirmen (Lautréamont?) und attraktiven jungen Männern (Lautréamont!), welche durch Pariser Straßen ziehen (erst recht Lautréamont!), elegant wie "die Muskelbewegungen des hinteren Nackens", fast so schön wie eine "dauernd wirksame Rattenfalle", mit auseinadergespreizten Regenschirm-Speichen, die die "Einziehbarkeit der Fänge von Raubvögeln" simulieren... Man siehe genau hin: Die meisten Herren haben ihr weibliches Pendant zuhause gelassen. Doch dort, ganz vorne, schmiegt sich eine junge Dame an ihren männlichen Begleiter, und zwar so innig, dass man keines Seziertisches mehr bedarf, um die Symbiose perfekt zu machen. Wenn ich die Augen zusammenkneife, kann ich in der weiblichen Silhouette eine Nähmaschine erkennen...


Gustave Caillebotte: "Rue de Paris bei Regen" (1877). Ein Lautréamontsches Déjà-vu avant la lettre.


Nein, das war natürlich ein Scherz. In Wirklichkeit sehe ich sie, auch ohne die Augen zusammenzukneifen. Was hätte Caillebotte dazu gesagt? Dass er hier keine Nähmaschine gemalt hat? Dass er "Die Gesänge des Maldoror" nicht kannte? Und erst recht nicht das R'n'N-Gleichnis, dessen Kult bekanntlich erst nach 1917 ansetzt? Historisch betrachtet ist eine Verbindung zwischen ihm und Lautréamont somit ein Nonsens.

Es sei denn, sie findet völlig zufällig auf dem Seziertisch des freien Assoziierens statt. Dort ist bekanntlich alles möglich. Dort kommen Regenschirme mit Nähmaschinen zusammen; Sonnenblumen werden mit abgeschnittenen Ohrmuscheln verknüpft, Sigmund Freud mit Schnecken, Telefon mit Hummer. Motive lösen sich aus den Zwängen der Narration, verlieren ihre herkömmliche Symbolik, gehen überraschende Verbindungen ein, blockieren sich gegenseitig, ordnen sich immer wieder neu....


Claude Monet: "Mann mit einem Regenschirm" (1868-69) Vielleicht sah Lautréamont so aus? Vielleicht auch nicht.

Auf die Verselbständigung der künstlerischen Mittel folgt nun die Verselbständigung der künstlerischen Motive. Lautréamont liefert uns das Handwerk dazu; Sigmund Freud steuert das Vokabular und den psychoanalytischen Background bei, um dieses Phänomen zu beschreiben. Und die Surrealisten versorgen uns mit Bildern, die völlig neue Perspektiven über das Reale hinaus eröffnen. Zeitversetzt bereiten diese drei Instanzen Lautréamont-Freud-Surrealismus eine neue Form von Narration vor. Die vermeintlich zufällige Begegnung der Motive löst subjektive Assoziationen aus. Vergleichbar mit einem Rorschach-Test sagen sie mehr über den Betrachter aus als über den Autor. Nach den künstlerischen Mitteln und Motiven verselbständigt sich nun auch das Kunstwerk: Es findet nicht mehr auf der Leinwand statt, sondern in den Überlegungen des Rezipienten - die sich immer am Bild rückversichern müssen, dass sie sich noch mit dem Bild und nicht (nur) mit sich selbst befassen (21).

Daher kann es schon mal passieren, dass ein zufällig ins Bild geratener Regenschirm ein Lautréamontsches Déjà-vu auslöst. Oder dass ein zufällig an der Wand gelehnter Regenschirm die Sehnsucht nach einer Nähmaschine weckt. Oder dass das Idiom avant la lettre unverhofft in den eigenen aktiven Wortschatz übergeht. Immerhin wurde es in diesem Text ganze 22 Mal verwendet. Ich habe nachgezählt. Das wäre schön. Weil es für etwas Neues stünde. Und weil es nur der Anfang wäre - für alles, was unter-bewusst und dabei über-real ist. Lautréamont und Nadja hätte es sicher gefallen...





Textquellen 1 Zur Definition von Déjà-vu s. https://de.wikipedia.org/wiki/D%C3%A9j%C3%A0-vu

2 Zu Künstlermythen gibt es unzählige Publikationen. Viele Quellen findet man in der Literaturliste meiner Dissertation: Tangian, Katia: Spielwiese Kunstakademie: Habitus, Selbstbild, Diskurs, Olms Verlag, Hildesheim 2010

3 McQuillan, Melissa: Van Gogh, Lichtenberg Verlag GmbH, München 1998 (engl. Erstausgabe 1989)

4 Zitat von Philippe Soupault sowie weitere Informationen zu den "Gesängen" unter https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Ges%C3%A4nge_des_Maldoror

Soupault, Philippe: Memoires de l'oublie 1897-1925. Histoire d'un blanc. Édition Lachenal & Ritter, Paris 1986

Breton, André: Anthologie des schwarzen Humors, 1940

5 Zu Lautréamont u. a. Enders, Ria: Ein Gargantua des Bösen. "Seid nicht streng mit dem, der seine Leier versucht": Über den französischen Schriftsteller Lautreamont und "Die Gesänge des Maldoror". In: Zeit, 30.09.1988

Feskova, Julia: Zur Problematik der literarischen Nachahmung bei Isidore Ducasse, Comte de Lautréamont. Die Möglichkeit einer a n d e r e n Literatur. Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie am Fachbereich der Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität Berlin

6 "Sei überzeugt, daß zu allem Gewohnheit nötig ist; und da sich der instinktive Widerwille, der sich von der ersten Seite an bemerkbar gemacht hatte, bedeutend an Tiefe verloren hat, je eifriger die Lektüre fortschritt, wie ein Furunkel, den man aufschneidet, darf man hoffen, daß deine Heilung, wenn auch dein Kopf noch krank ist, sicherlich alsbald in ihre letzte Phase eintreten wird. Für mich segelst du unzweifelhaft schon in voller Genesung; indessen ist dein Gesicht noch mager geblieben, ach! Aber … Mut! in dir haust ein wenig gewöhnlicher Geist, ich liebe dich und ich verzweifle nicht an deiner vollständigen Erlösung, vorausgesetzt, du nimmst einige heilkräftige Substanzen zu dir, die nur das Verschwinden der letzten Symptome des Übels beschleunigen werden. Als adstringierende und tonische Nahrung wirst du zuerst die Arme deiner Mutter (sofern sie noch lebt) ausreißen, sie in kleine Stücke zerlegen und sie anschließend an einem Tage essen, ohne daß dein Gesicht irgendeine Spur von Erregung verrät. War deine Mutter zu alt, wähle ein anderes chirurgisches Objekt, ein jüngeres und frischeres, das unter die Knochensäge kommen kann, und dessen Sprungbeine beim Laufen leicht eine Stütze finden, um zu schaukeln: deine Schwester zum Beispiel. Ich kann mich nicht enthalten, ihr Schicksal zu beklagen, und ich gehöre nicht zu denen, deren kalter Enthusiasmus nur Güte vorspiegelt. Du und ich, wir werden um sie, um diese geliebte Jungfrau (aber ich habe keine Beweise dafür, daß sie Jungfrau ist) zwei ununterdrückbare Tränen vergießen, zwei bleierne Tränen. Das wird alles sein. Der linderndste Trank, den ich dir empfehlen kann, ist ein Becken voll klumpigen Gonorrhöe-Eiters, in dem man zuvor eine Haarzyste des Eierstocks aufgelöst hat, ein Follikelgeschwür, eine entzündete Vorhaut, durch eine Paraphimose von der Eichel zurückgezogen, und drei rote Schnecken. Folgst du meinen Verordnungen, wird meine Poesie dich mit offenen Armen empfangen, wie eine Laus mit ihren Küssen die Wurzel eines Haares amputiert." (V/2)

Zum vollständigen Text der "Gesänge" s. https://epdf.pub/die-gesnge-des-maldoror.html

7 Cornelius, Johannes (Hrg.): Die Rezeption der Psychoanalyse in der Soziologie, Psychologie und Theologie im deutschsprachigen Raum bis 1940. Suhrkamp Verlag, 1981

9 Brown, Craig: Die Party des Jahrhunderts: 101 wahre Begegnungen, Kiepenheuer & Witsch, 2013, S. 187

11 Rauterberg, Hanno: Lustvolle Zerstörung. Das "Futuristische Manifest" prägt seit 100 Jahren die moderne Kunst – und unseren Alltag. Noch im iPhone zeigt sich seine Macht. In: Zeit, 12.02.2009

12 Zweite, Armin (Hrg.): Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München, Prestel-Verlag, München 1991

13 Schneede, Uwe M.: Die Kunst des Surrealismus. Dichtung, Malerei, Skulptur, Fotografie, Film, C.H.Beck, München 2006, S. 66

https://books.google.de/books?id=z0FavypiMuIC&pg=PA66&dq=surrealistische+Handlung&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwjvyLeKv-joAhX2w8QBHQWJAMMQ6AEIKDAA#v=onepage&q=surrealistische%20Handlung&f=false

15 Hadda, Sarah: Der Schnitt als Denkfigur im Surrealismus, Transcript Verlag, Bielefeld 2019, S. 6

16 Koeppen, Wolfgang: Großvater des Surrealismus, Süddeutsche Zeitung, 16.04.1955

17 Breton, André: Die kommunizierenden Röhren, Frankfurt am Main 1988 (französische Erstausgabe 1932). Vgl. Tänzer, Dirk: Liebe, Tod und Auferstehung bei Lautréamont, 1980. In: https://www.iablis.de/iablis/themen/2015-botschaften-des-todes/thema-2015/96-liebe,-tod-und-auferstehung-bei-lautr%C3%A9amont

18 Breton im Ersten Manifest des Surrealismus, 1924. In: Zielcke, Andreas: Erkundungen unter der Gürtellinie. In: Der Spiegel, 17.05.1993. https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13681743.html

S. auch Lindner, Christian: Der Tod des Surrealisten André Breton, Deutschlandfunk, 28.09.2016. In: https://www.deutschlandfunk.de/vor-50-jahren-der-tod-des-surrealisten-andre-breton.871.de.html?dram:article_id=366883

19 "(...) Wenn man sich weiter nähert, ohne die Aufmerksamkeit dieses Passanten auf sich zu lenken, stellt man zu seinem angenehmen Erstaunen fest, daß er jung ist! Von fern hätte man ihn wirklich für einen reifen Mann gehalten. Die Summe der Tage zählt nicht mehr, wenn es darum geht, die intellektuelle Kapazität eines ernsthaften Gesichtes zu würdigen. Ich verstehe mich darauf, das Alter an den physiognomischen Linien der Stirn abzulesen: er ist sechzehn Jahre und vier Monate alt! Er ist schön wie die Einziehbarkeit der Fänge von Raubvögeln; oder auch wie die Unsicherheit der Muskelbewegungen in den Wunden der Weichteile in der Gegend des hinteren Nackens; oder noch eher wie diese dauernd wirksame Rattenfalle, die immer vom gefangenen Tier neu gespannt wird, also selbsttätig unendlich Nager autnehmen kann und sogar unter Stroh verborgen funktioniert; und vor allem wie das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch! Mervyn, dieser Sohn des blonden England, hat gerade bei seinem Lehrer eine Fechtstunde genommen und kehrt, in seinen schottischen Tartan gehüllt, zu seinen Eltern zurück. Es ist halb neun, und er hofft, um neun Uhr zu Hause anzukommen: es ist eine große Vermessenheit von ihm vorzugeben, er wäre sicher, die Zukunft zu kennen." (VI/3)

20 "Das endlose Rätsel: Dalí und die Magier der Mehrdeutigkeit." Surrealismus-Ausstellung im museum kunst palast, Düsseldrof, 2003. Vgl. https://www.art-in.de/ausstellung.php?id=377

Martin, Jean-Hubert (Hrg.): Das endlose Rätsel. Dalí und die Magier der Mehrdeutigkeit, Hatje Cantz Verlag, Düsseldorf 2003

21 Zur Vertiefung empfielt sich Eco, Umberto: Die Grenzen der Interpretation, dtv wissenschaft, 1995


Spaß mit Regenschirmen

Agnes Cappadoro: Beau comme la rencontre, sur unte table de dissection, d'un parapluie et d'une machine à coudre, 2015 (Zitat von Rebrandt: Anatomie des Dr. Tulp, 1632




Bildangaben


© Manfred Olsen, 2013.


Horst Janssen (1929-1995): Annettchen in der Haseldorfer Marsch, 15.3.1987

Radierung, 30,8 x 13,7 cm

Im Privatbesitz


Banksy (*1974?): Mädchen mit Regenschirm, 2008

Graffiti

Ecke North Rampart /Kerlerec street, New Orleans


Carl Spitzweg (1808-1885): Der arme Poet (Detail), 1839

Öl auf Leinwand, 36 x 45 cm

Neue Pinakothek, München


Claude Monet (1840-1926): Dame mit Sonnenschirm (Studie), 1886

Öl auf Leinwand, 131 x 88 cm

Musée d'Orsay, Paris


Vincent van Gogh (1853-1890): Japonaiserie: Brücke im Regen

(nach einem Holzschnitt von Hiroshige), 1887

Öl auf Leinwand, 73 x 54 cm

Rijksmuseum Vincent van Gogh, Amsterdam


Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938): Mädchen unter Japanschirm, um 1909

Öl auf Leinwand, 95,5 x 80,5 cm

K20 Kunstsammlung NRW, Düsseldorf


Still aus dem Film "Loving Vincent", Animationsfilm von Dorota Kobiela und Hugh Welchman, 2017


Mutmaßliches Foto von Comte Lautréamont (eigentlich Isidore Lucien Ducasse; 1846-1870), undatiert

Zuerst veröffentlicht in Le Visage de Lautréamont von Jacques Lefrère, 1977


Man Ray (eigentlich Emmanuel Rudnitzky; 1890-1976): Tränen, 1932

Fotografie, 22,9 × 29,8 cm

Im Privatbesitz


Man Ray: Hommage à Lautréamont, ca 1935

Fotografie, 36 x 47 cm (posthumer Abzug von 1970)


Francisco de Goya (1746-1828): Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer, um 1797-99

Aquatinta-Radierung, 21,6 x 15,2 cm

Museo de Calcografía Nacional, Madrid


Comte Lautréamont: Die Gesänge des Maldoror. Léon Genonceaux (Hrg.), Paris 1890 (Originalausgabe)

René Magritte (1898-1967): Die Gesänge des Maldoror (Skizze), 1945

Bleistift auf Papier, 23,8 x 18,1 cm


Salvador Dalí beim Malen von La Cara de la Guerra (Das Gesicht des Krieges), 1940


Max Ernst (1891–1976): Die Versuchung des heiligen Antonius, 1945

Öl auf Leinwand, 108 × 128 cm

Wilhelm-Lehmbruck-Museum, Duisburg


Salvador Dalí (1904-1989): Portrait von Sigmund Freud, 1938

Tinte auf Papier, 34,5 x 28 cm

Freud Museum London


Salvador Dalí: Nähmaschine mit Regenschirm in einer surrealistischen Landschaft, 1941

Öl und Tempera auf Leinwand, 22 x 30 cm

Stratton Foundation (USA)


Salvador Dalí: Les Chants de Maldoror, 1934

Radierung, 33 x 25 cm

Im Privatbesitz


Salvador Dalí: Herbstlicher Kannibalismus, 1936

Öl auf Leinwand, 65 x 65,2 cm

Tate Gallery, London


Salvador Dalí: Hummer - oder aphrodisisches Telefon, 1936

Assemblage, 18 x 12,5 x 30,5 cm

Museum für Kommunikation, Frankfurt am Main

Filippo Tommaso Marinetti (1876-1944) in Uniform, 1915

Umberto Boccioni (1882-1916): Einzigartige Formen der Kontinuität im Raum, 1913

Bronze, 111,2 x 88,5 x 40 cm

Museum of Modern Art, New York

Ernst Ludwig Kirchner: Selbstbildnis als Soldat, 1915

Öl auf Leinwand, 69 x 61 cm

Allen Memorial Art Museum, Oberlin (Ohio)


Man Ray: Foto der Pariser Surrealisten, 1930 (Detail)

André Breton (1896-1966), zwischen 1924 und 1929 (Fotograf unbekannt)

Fotografie, 16,8 x 21,7 cm

Musée national d'art moderne, Centre Pompidou, Paris


Comte de Lautréamont: Oeuvres complètes. André Breton (Hrg.), GLM Verlag, Paris 1938

Edith & Corcal: La chambre de Lautréamont, Éditions Futuropolis, Paris 2017

Francis Picabia (1879-1953): Junge Frau mit Regenschirm, 1926

Öl auf Leinwand, 92,5 x 73 cm

Im Privatbesitz


Guillaume Apollinaire (eigentlich Wilhelm Albert Włodzimierz Apolinary de Wąż-Kostrowicki; 1880-1918): Kalligramm aus "Poèmes à Lou" vom 9. Februar 1915

Max Ernst: Oh Hercules, oh Frau Cules, 1948

Collage, 14 x 8 cm

Im Privatbesitz

Léona Delcourt (1902-1941): Qui est elle? (Wer ist sie), 1926

Zeichnung abgedruckt in: André Breton: Nadja. Gallimard, Paris 1928, Dessin de Nadja

Giorgio de Chirico (1888-1978): Geheimnisvolle Bäder, 1938

Öl auf Leinwand; Größe unbekannt

Im Privatbesitz

"I Bagni Misteriosi": Springbrunnen in Parco Sempione, Mailand,

1973 anlässlich der Mailänder Trienale nach dem gleichnamigen Gemälde von Giorgio de Chirico gebaut


Elsa von Freytag-Loringhoven (1874-1927): Forgotten Like this Parapluice am I by You – Faithless Bernice, 1924

Gouache auf Folie, 13 x 12 cm


Wolfgang Paalen (1905-1959): Nuage articulé II, 1937–40

Naturschwamm auf Regenschirm 66 × 94 cm

Privatsammlung, Berlin

Man Ray: L’Enigme d’Isidore Ducasse, 1920 (Replik von 1972)

Objekt, 35,5 x 60,5 x 33,5 cm

Tate Gallery, London


Tim Swezy: Hommage an Lautréamont, 2017

https://crosshatching.net/post/167328100232/beautiful-as-the-chance-meeting-on-a Jan van Eyck (1390-1441): Die Arnolfini-Hochzeit, 1434

Öl auf Holz, 81,8 x 59,7 cm

National Gallery, London

René Magritte: Hegels Ferien, 1958

Öl auf Leinwand, 61 x 50 cm

Im Privatbesitz

Konrad Klapheck (*1935): Die Fragen der Sphinx, 198

Farblithographie von 1998, 65,5 x 62 cm

Im Privatbesitz


Edward Hopper (1882-1967): Mädchen an einer Nähmaschine, 1921

Öl auf Leinwand, 48,3 x 46 cm

Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid

Christo und Jeanne-Claude (eigentlich Christo Wladimirow Jawaschew, *1935, und Jeanne-Claude Denat de Guillebon, 1935-2009): The Umbrellas Japan-USA, 1984-91

Photo: Wolfgang Volz, © 1991 Christo

https://db-artmag.de/de/97/feature/sich-den-dingen-vollkommen-hingeben-christo-ueber-sein-legendaer/

Gustave Caillebotte (1848-1894): Rue de Paris bei Regen, 1877

Öl auf Leinwand, 212 x 276 cm

The Art Institute of Chicago


Claude Monet: Mann mit einem Regenschirm, 1868-69

Öl auf Leinwand, 99 x 61 cm

Kunsthaus Zürich


Banksy: Sklavenarbeit, 2012, London




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