Tarot-Karten! Jeder hat sie schon mal gesehen oder sogar selbst benutzt. Einige glauben an ihre magische Kraft und erhoffen sich von ihnen eine Zukunftsprognose. Andere belächeln sie als esoterischen Hokuspokus. Wieder andere sehen darin eine historisch gewachsene Archetypen-Sammlung. Skepsis und Faszination liegen hier nah beieinander. Doch unabhängig davon, wie man zu Tarot steht, bleibt die Bildsprache der Karten originell und inspirierend. Daher habe ich mich mit einem 11er und einem gemischten Oberstufenkurs (12. und 13. Jahrgang) ein Semester lang an der Um- bzw. Neu-Gestaltung der Tarot-Karten versucht.
Die Verbindung von Schrift und Bild, also das klassische Designthema Layout ist im Kunstunterricht ein Evergreen. Allerdings wird es üblicherweise am Beispiel von Plakat- oder Flyergestaltung eingeführt. Warum aber nicht etwas Neues auszuprobieren? Die Tarot-Karten boten dabei eine willkommene Abwechselung: Auf einem standardisierten, überschaubaren Spielkartenformat konnten Schüler Bild und Schrift, Symbol und Bedeutung eindrucksvoll miteinander verknüpfen. Und obwohl der esoterisch anmutende Tarot-Kult die Lerngruppen anfangs polarisiert hatte, hatte das Thema auf lange Sicht eine fruchtbare Binnendifferenzierung ermöglich: Während sich ein Teil der Gruppe auf die spirituell-mystische Ebene der Karten einließ und emotional aufgeladene, mehrdeutige Motive konzipierte, gingen die Skeptiker unter ihnen das Tarot-Projekt eher humorvoll an. Beide Ansätze waren meines Erachtens legitim und sorgten für ein heterogenes, aber auch abwechslungsreiches Tarot-Deck.
Tarot Reloaded: Neuinterpretation des Oberstufenkurses (12er und 13er Jahrgang; weitere Kartenbeispiele unten)
1. oben (Titelbild): Jana H.: Die Depression (ursprünglich Der Herrscher, IV. Karte)
2. oben: Kevel T.: Charles Manson (urspr. Der Magier, I. Karte)
3. Titelbild von Melina W. (als Bonus-Bild zusätzlich zu ihrer Tinkerbell-Karte entstanden) 4. Esther N.: Die Casinonacht (urspr. Das Rad des Schicksals, X. Karte)
5. Tim O.: Superpower (urspr. Die Gerechtigkeit, VIII. Karte)
6. Kaja M.: Fast & Furious (urspr. Die Welt, XXI. Karte)
7. Ahmed A.: Game Over (urspr. Der Gehängte, XII. Karte)
8. Letizia B.: Der Urknall (urspr. Der Mond, XVIII. Karte)
9. Jolia J.: The Darkside (urspr. Der Teufel, XV. Karte)
10. Torben B.: Donald Trump (urspr. Der Hierophant, V. Karte)
11. Lena K.: Das Passwort (urspr. Die Hohepriesterin, II. Karte)
12. Jenna-Lynn K.: Teletubbie (= Kim Jong-Un) (urspr. Der Turm, XVI. Karte)
13. Lars B.: Das Virus (urspr. Der Narr, 0. Karte)
14. Sebastian D.: John Wick (urspr. Der Tod, XIII. Karte)
15. Joleen K.: Gandalf (urspr. Der Eremit, IX. Karte)
16. Jan D.: White Mode (urspr. Die Kraft, XI. Karte)
Tarot-Karten, neu illustriert: Karten des 11er Kurses
Gülin A.: Der Mond; Lea-Sophie N.: Der Teufel; Jessica S.: Die Mäßigkeit; Antonia B.: Narr; Paulina v. S.: Die Welt; Sally B.: Die Herrscherin; Lilly S.: Der Eremit; weitere Karten unten
1. Tiefdruck: Kitchen Print zur Einstimmung
Wie bei jeder Form von Illustration sind auch bei Tarot-Karten jede künstlerische Technik grundsätzlich denkbar: Bleistift, Fineliner, Acryl, Lithographie ... Auch digital, etwa am iPad, lassen sich Tarot-Karten wunderbar gestalten, wie es die Künstlerin Kitty Kahane mit ihrem Tarot-Deck demonstriert (Abbildungen in der Galerie unten). Damit unsere Tarot-Karten einerseits filigran und detailliert genug ausfielen, um der komplexen Tarot-Symbolik gerecht zu werden, und andererseits das handliche Format einer Spielkarte nicht überschritten, hatte ich mich nach reiflicher Überlegung für Tiefdruck entschieden.
Zuerst erprobten wir das Medium mit Hilfe von Tetrapak und Schuhcreme (!): eine niedrigschwellige Low-Budget-Variante, die ich bereits im Homeschooling, allerdings mit einer anderen Lerngruppe, ausprobieren konnte. Die dafür benötigten Materialien hatte jeder Schüler griffbereit zuhause: Tetrapak, Schuhcreme, Backform zum Papier Wässern und Holzlöffel oder, noch besser, Nudelmaschine zum Drucken. Eine genauere Anleitung zum Kitchen Print ist in meinem Blogbeitrag "Schuhcreme + Tetrapak = Tiefdruck: ein Homeschooling-Experiment" unter diesem Link nachzulesen.
Bei dem aktuellen Kitschen-Print-Experiment zur Vorbereitung des Tarot-Projekts ging es noch nicht konkret um die Karten, sondern vielmehr darum, ein Gefühl für das Medium Tiefdruck zu entwickeln: Wie tief beziehungsweise dick musste ein geritzter Strich sein, damit man ihn später auf dem Papier sah? Wie schraffierte man plastisch eine Fläche? Und wieviel Farbe durfte man von der Platte erst auf- und dann abtragen, damit das Druckergebnis kontrastreich genug ausfiel?
Weil das Motiv dabei erst einmal nebensächlich war, übten sich die Schüler in Reduktion: Mal ritzten sie eine Kugel, mal einen Apfel, mal einen Schriftzug in ihren Tetrapak-Träger hinein. Und obwohl die finalen Drucke etwas verschwommen ausfielen, weil man auf Tetrapak nicht so präzise arbeiten konnte wie später auf Plexiglas, war dieser Einstieg dennoch hilfreich. Denn später, im Ernstfall wussten alle, worauf es ankam: Dass man sowohl die Bildmotive als auch die Schrift spiegelverkehrt vorzeichnen musste; dass man keine weißen Oberteile, dafür aber gegebenenfalls Handschuhe tragen sollte - bei manikürierten Nägeln schien es sogar das Gebot der Stunde zu sein. Doch die wichtigste Erkenntnis von allen war, dass Drucken sich nie ganz kontrollieren ließ. Jeder Abzug war einzigartig, jeder Druck - ein Experiment.
2. Tarot-Motive konzipieren
Nachdem wir im Plenum über die Tarot-Geschichte und -Symbolik gesprochen hatten (s. u.), durfte jeder Schüler aus dem Kartenstapel der großen Arkana eine Karte ziehen . Weil wir jedoch in beiden Kursen auf weniger als 22 Schüler kamen, blieben in beiden Gruppen einige Karten vakant. So hatten wir einen gewissen Raum zum Hin- und Her-Tauschen der Karten, falls man mit seiner zufällig gezogenen Schicksalskarte totunglücklich war.
Anna-Lina T.: Tinder (urspr. Die Liebenden, VI. Karte)
Bis zum Kartenverlosen hatten beide Kunstkurse parallel gearbeitet. Doch nun trennten sich ihre Wege: Während sich die 11er dafür entschieden, die traditionelle Kartenbezeichnung beizubehalten und lediglich das jeweilige Bildmotiv neu zu gestalten, wollte sich der gemischte Oberstufenkurs an einer kompletten Umdefinition ihrer Karten versuchen. Die zeitlos klingenden Archetypen - Der Tod, Die Gerechtigkeit, Die Liebenden ... - sollten dabei durch ihre zeitgenössischen Pendants ersetzt werden. So wurden aus der Karte der Liebenden Tinder und aus dem Rad des Schicksals - eine Casinonacht. Dass diese Umwidmung humorvoll und teils sogar medienkritisch gemeint war, verstand sich von selbst. Keinesfalls stehen sie für den Verfall der Werte und die Verrohung der Sitten unserer Jugend! (Dieser Verdacht wurde tatsächlich ein paar Mal geäußert, also schreibe ich es zur Sicherheit dazu ;-).
Tarot-Karten: historischer Hintergrund
"Tarot ist ein Satz von 78 Spielkarten, die zu psychologischen Zwecken oder als Wahrsagekarten verwendet werden," heißt es auf Wikipedia. Der Satz wird eingeteilt in die große Arkana (22 Karten, nummeriert von 0 bis 21), und die kleine Arkana (56 Farbkarten: zehn Zahlen- und vier Bildkarten in jeweils vier Farben: Stäbe, Münzen, Kelche und Schwerter). Die Karten der kleinen Arkana entsprechen in etwa dem heute noch gebräuchlichen Spielkartensatz mit seinen vier Farben Kreuz, Karo, Herz und Pik sowie den Hofkarten As, König, Dame und Bube.
Die Tarotkarten gehören zur Familie der Tarock-Spielkarten. Einige Historiker sehen deren Ursprung im Alten Ägypten. Andere verorten ihn im Nahen Osten. Ende des 14. Jahrhunderts werden die Tarot-Karten erstmalig urkundlich erwähnt - und zwar in Bern, Schweiz, von wo aus sie sich schnell in ganz Europa verbreiten. Bis Ende des 18. Jahrhunderts entwickeln sich Tarock- und Tarot-Karten identisch. "Danach erhalten Tarot-Kartensätze zunehmend symbolische Inhalte, da sie seitdem explizit als Deutungswerkzeuge verwendet werden." (Wikipedia) Darauf verweist auch ihre Bezeichnung: Auf Latein bedeutet "Arcanum" Geheimnis.
Unterschiedliche Tarot-Decks
Es existieren heute verschiedene Tarot-Decks, vom Rider-Waite-Klassiker (s. Bild) bis zu den zeitgenössischen Tier-, Fantasy- oder Animee-Varianten (unten). Zur Vorbereitung der Unterrichtsreihe hatte ich den klassischen Rider-Waite-Deck vom Königsfurt-Urania Verlag bestellt. Die feste Aufbewahrungsschachtel enthielt neben den 78 Tarot-Karten (mit dem Design und der Farbgebung der Erstausgabe von 1909) ein praktisches Büchlein mit einer kurzen Gebrauchsanweisung. Jede Karte wurde darin auf je einer Seite beschrieben und gedeutet. Diese Anweisungen sollten sich später als ausgesprochen nützlich erweisen: Mit dem iPad abfotografiert, hatten sie die Schüler jederzeit griffbereit, um ihre eigenen Symbole der Kartenbedeutung anzupassen. Dabei war stets zu bedenken, dass jede Karte, je nach ihrem Lege-Kontext, positiv, negativ oder auch neutral gedeutet werden konnte. Keins der Motive durfte daher ausschließlich negativ oder positiv erscheinen, sondern vielmehr eine offene Interpretation zulassen - wie beim echten Tarot-Orakel.
Drei zeitgenössische Deck-Beispiele, alle vom Königsfurt-Urania Verlag: "Modern Witch" von Lisa Sterle, "Wächter der Nacht" von MJ Cullinane sowie das Tarot-Deck von Kitty Kahane
3. Vorskizzen
Digitale Vorskizze von Anna-Lina T. (13.)
Ihre Skizzen konnten Schüler sowohl digital als auch analog erstellen. Einige Schüler hatten am iPad gearbeitet, was das anschließende Spiegeln der Bilder erleichterte. Doch die meisten hatten analog vorgezeichnet. Zum Spiegeln hatten sie ihre Papierblätter umgedreht, ans Fenster geklebt oder auf das leuchtende iPad-Display gelegt und auf der Rückseite noch einmal durchgepaust. Alternativ konnte man die fertigen Vorlagen auf dem Kopierer spiegeln. Wichtig war nur, diesen Schritt nicht zu vergessen, damit man beim Drucken keine bösen Überraschungen erlebte.
Zuerst erstellten Schüler Mindmaps zu der von ihnen gezogenen Karte: ihre Symbole und Bedeutung sollten in das neue Motiv einfließen. Der Oberstufenkurs hatte zudem die Aufgabe, für die Karten neue Bezeichnungen zu finden. Erwartungsgemäß hat diese Begriffsuche für viele Lacher gesorgt, sodass durchgehend beste Stimmung im Kurs herrschte. Auch Hilfsmittel wie Internetvorlagen oder eigene Fotos waren willkommen. Im Zweifel durften die ausgewählten Motive vom iPad duchgepaust werden. Nur die Formsprache sollte weitgehend individuell bleiben und nicht die Ästhetik von Animees, Disney und Co kopieren. Auch sollten die Zeichnungen neben Umrisslinien sowohl schraffierte als auch monochrome Flächen enthalten. Dies sorgte für Abwechselung sowie für eine größere Fernwirkung beziehungsweise Lesbarkeit der Karten.
4. Das Format und der Bildträger
Bei unserem Bildformat waren wir auf die fertig zugeschnittenen Plexiglas-Platten von Boesner festgelegt, die ich im Vorfeld gekauft hatte. Sie waren 15 mal 11 cm groß und hatten pro Schüler ca. 1 Euro gekostet. Zwar wirkten sie weniger wertig als die klassischen Zink- oder Kupferplatten. Dafür erzeugten sie beim Ritzen keine nervtötenden Geräusche und waren nicht nur deutlich günstiger, sondern auch noch transparent, was das Übertragen der Vorskizzen extrem erleichtert hatte, brauchten wir diese doch nur von unten an die Platte zu fixieren und mit einem Aquarellstift durchzuprausen. Diese waren das Mittel der Wahl, weil herkömmliche Bleistifte auf Plexi kaum zu sehen waren. Aber auch mit abwischbaren oder permanenten Folienstifte ließen sich die Skizzen gut übertragen. Die letzteren hatten sich dabei besonders bewährt: Sie ließen sich zwar nicht ohne weiteres korrigieren, falls man sich verzeichnet hatte. Dafür verwischen sie nicht später nicht beim Ritzen, wenn man mit dem Handballen über die Platte glitt.
Oben und unten: Melina W.: Tinkerbell
(ursprünglich Der Stern, XVII. Karte)
Material-Tipp Platten
Anstatt vorgeschnittener Platten vom Kunsthändler ließen sich auch große Plexiglas-Platten im Baumarkt kaufen und entweder gleich vor Ort oder mit Cutter in der Schule zuschneiden. Allerdings wird der Plexiglas-Zuschnitt nicht in jedem Baumarkt angeboten, und das Schneiden mit dem Cutter ist ebenfalls eine recht mühsame Angelegenheit.
Erst später erfuhr ich aus der Produktbeschreibung von Boesner, dass deren nur 5 mm dicke Plexiglasplatten auch ganz einfach mit der Schere zugeschnitten werden konnten. Das warf die Frage auf, ob man nicht gleich dicke Overhead-Projektorfolien online bestellte und sie mit Cutter oder Schere zuschnitt. Wer sich diesem Selbstversuch unterziehen möchte, ist herzlich eingeladen, seine Erfahrungen mit mir zu teilen: katia.tangian@gmx.net. Mit seinem Einverständnis würde ich seinen Bericht hier posten.
Traditionell werden beim Tiefdruck nicht Plexiglas, sondern Zink oder Kupfer verwendet. Darauf kann man präziser ritzen; auch leiern Metallplatten beim Drucken nicht so schnell aus und die Linien bleiben länger scharf. Sollte also in der Elternschaft ein Dachdecker, Metallarbeiter o. ä. schlummern, könnte man versuchen, über ihn an günstige (bis kostenlose) Metallreste zu kommen. Ich persönlich habe in der Vergangenheit gute Erfahrungen damit gemacht: Die Klasse war im Anschluss dankbar, auf einem hochwertigen Material gearbeitet zu haben, und das Dachdecker-Kind war stolz, zum Gelingen des Tiefdruck-Projekts beigetragen zu haben.
5. Layout: Prinzip Einheitlichkeit
Vorskizze von Gülin A., 11er Kurs
Das wichtigste Prinzip des seriellen Layouts ist seine Einheitlichkeit. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich dabei um einen Werbekatalog, eine Homepage oder eben ein Tarot-Deck handelt. Die zu gestaltenden Flächen werden im Vorfeld in Textblöcke, Bilder und umlaufende Ränder eingeteilt. Am Rechner werden Linienraster angelegt, an denen im Folgenden alle Elemente ausgerichtet werden. Auch bei unserem Tarot-Projekt hatten wir uns im Vorfeld auf eine einheitliche Flächeneinteilung geeinigt. Weil wir aber analog gearbeitet hatten, mussten die Schüler ihre Hilfslinien ebenfalls analog, mit Bleistift und Lineal vorzeichnen.
Vorab wurden sowohl die Randabstände als auch die Schriftart und -größe gemeinsam im Plenum festgelegt und an der Tafel fixiert. Weil der 11er Kurs und der Oberstufenkurs verschiedene Schriftarten verwenden wollten, waren auch die Größenangaben bei den beiden Lerngruppen unterschiedlich. Die Höhe der Schrift richtete sich nach der längsten Kartenbezeichnung (hier: "Das Rad des Schicksals"), denn dieser Schriftzug musste von der Breite her auf die Karte passen - und die Schrifthöhe stand bekanntermaßen in einem festen Verhältnis zu der Schriftbreite. Weil die Serifenschrift des 11er Kurses, der Rider-Waite-Schrift nicht unähnlich, recht schlank war, konnte eine vergleichsweise große Schrifthöhe von 1 cm gewählt werden. Dagegen fiel die runde, modernistische Schrift des Oberstufenkurses deutlich breiter aus, was eine geringere Höhe von 0,75 cm zur Folge hatte.
"Vicenza" von Vivian U.: für den 11er Kurs die Schrift der Wahl
Die gebrochene, futuristische Schrift des Oberstufenkurses signalisierte gleich, dass es sich um eine Neuinterpretation des Tarots handelte. Kein Wunder also, dass Esthers Schriftvorschlag den Kurs sogleich begeisterte. Allerdings konnte sich Esther später nicht mehr erinnern, wo sie ihre Schrift gefunden hatte und wie diese hieß. Uns lag nur deren analoger Ausdruck vor. Doch wo ein Wille war, war auch ein Weg. Also fotokopierte ich Esthers Vorlage für alle, sodass die Buchstaben manuell nachgezeichnet werden konnten.
Die verlorene Schrift von Esther N.: ein namenloses Mysterium
Analoge und digitale Vorskizzen des 11er Kurses (Serifenschrift) und des Oberstufenkurses (gebrochene Rundschrift): Jessica S., Sophia B., Sally B., Antonia B., Lilly S. (11er Kurs); Melina W., Kevel T. (12er Kurs)
6. Ritzen und Drucken
Sophia B. beim Ritzen der Platte (11er Kurs)
Sobald die Schüler ihre Vorskizzen auf Plexi übertragen hatten, konnten sie mit dem Ritzen beginnen. Im Vorfeld hatte ich bei Boesner Radiernadeln in zwei verschiedenen Spitzenstärken besorgt: fein (1,5 mm) und stark (2 mm). Allerdings hatten wir beim Ritzen keinerlei Unterschied zwischen diesen beiden Stärken gemerkt.
Sollte das Schulbudget für eine Nadel-Anschaffung nicht ausreichen - immerhin kostet jede ca. 4 Euro, - ließe es sich auch mit einem Zirkel oder einem Korkenzieher arbeiten. Hauptsache, das Ritzwerkzeug lag gut in der Hand; die Spitzenart war dabei fast nebensächlich. Denn so tief musste bei Plexiglas gar nicht geritzt werden: Selbst ganz feine Linien waren später auf dem Papier gut sichtbar.
Gülin A. beim Abtragen der Farbe mit der Wischgaze
Zum Drucken hatte ich die wasserlösliche Tiefdruckfarbe von Charbonnel Aqua Wash gekauft, die mit ihrem Tubenpreis von knapp 10 Euro relativ teuer. Dennoch gerade diese Investition hatte sich voll und ganz gelohnt: Schon beim Kitchen Print hatten wir die cremige, teerartige Aqua Wash neben der herkömmlichen Schuhcreme ausprobiert, die im Vergleich zu Aqua Wasch wortwörtlich blass aussah.
Ein weiterer großer Vorteil der Aqua Wash bestand in ihrer einfachen Handhabung: Wie der Name schon sagte, ließ sie sich ganz unkompliziert unter fließendem Wasser auswaschen - gegenüber der ölhaltigen Kupferdruckfarbe ein echter Gamechanger.
Doch ihre wahre Stärke entfaltete die Aqua Wash wie ein guter Wein im Abgang. Während man bei der Schuhcreme stets aufpassen musste, dass man nicht zu viel Farbe von der Platte abtrug und der Druck zu blass wurde, haftete die Aqua Wash selbst auf ungeritzten, vollkommen glatten Plexiglas-Flächen bestens. Daher konnte man beim Abtragen mit der Gaze recht spontan vorgehen und mal mehr, mal weniger Schwarz auf der Platte stehen lassen, um bei jedem Druck neue spannende Effekte und Dunkelheitsgrade zu erzielen.
Material-Tipp Farbe
Obwohl die Aqua Wash nicht nur in 60ml-Tuben, sondern auch in 200ml-Dosen erhältlich ist, was ein günstigeres Preis-Leistungs-Verhältnis ergibt (bei Boesner ca. 10 € Tube versus ca. 22 € Dose; bei Gerstaecker etwas günstiger), würde ich von der Dose abraten. Bei unserem Tarot-Projekt hatte ich beides ausprobiert. Während die Farbe aus der Tube eine Zahncreme-Konsistenz hatte und sich sehr gut dosieren ließ, war die Farbe aus der Dose extrem fest und nur mit einem Messer oder einer Spachtel portionierbar: Bei einer Lerngruppe von 20 Schülern und wenn es schnell gehen sollte, eher unpraktisch. Schön dagegen: Die Aqua Wash gibt es in verschiedenen Farben. Damit lässt es sich toll experimentieren - auch an Tarot-Motiven. Leider waren wir nicht mehr dazu gekommen (s. Kapitel 7).
Ein unerwartet teures Vergnügen: Wischgaze, 0,5 x 25 m, 42 € (!). Dafür reichte eine solche Rolle recht lange: Für zwei Lerngruppen à mehrere Druck-Sessions habe ich gerade mal die Hälfte dieser Rolle, die es übrigens auch in doppelter Breite gibt, verbraucht.
Eine Platte, verschiedene Druckergebnisse: Mit der Gaze ließ sich die Helligkeit sehr präzise steuern; um eine Stiftspitze gewickelt, sogar sehr punktuell, wie bei Kajas Scheinwerfern (unten).
Esther N., Jana H., Letizia B. (dunkel vs. hell); Kaja M. (punktuell gewischte Scheinwerfer)
Je nasser das Papier, desto stärker verlief darauf die (wasserlösliche) Druckfarbe. Dies war aber nicht immer vom Nachteil: Auf einigen Abzügen sorgten diese Druckfehler für eine willkommene Unschärfe, die mal spiritistisch, mal psychodelisch daherkam - ganz im Sinne des Tarot-Orakels.
Johanna P., Vivian U. (11. Jahrgang); Ahmed A. (12. Jahrgang)
Laserdruckerpapier: Darauf sah man jede Wischbewegung - aber auch jeden Strich.
Robin M.: Der Veteran (urspr. Das Gericht, XX. Karte)
Material-Tipp Papier
Während beim Aquarell das passende Papier eine Schlüsselrolle spielt (s. mein Aquarell-Tutorial), haben wir beim Tiefdruck feststellen müssen, dass das Papier hier überbewertet wird. So haben wir beim Probedrucken das handelsübliche Laserdruckerpapier (80g/qm) verwendet und überraschend scharfe, präzise Abzüge erzielt. Zugegebenermaßen war es ungewohnt, das glatte, dünne Papier in einer Wasserwanne zu versenken. Schließlich hatten wir gelernt, dass dieses Papier für Nasstechniken nicht geeignet ist. Und tatsächlich sahen unsere ersten Drucke nach dem Trocknen etwas wellig aus. Doch die Linien fielen darauf sogar schärfer aus als auf dem faserigen, gelblichen Kupferdruckpapier von Hahnemühle.
Weil das hochwertige, handgeschöpfte Kupferdruckpapier auch noch saugfähiger war, war es bei unseren ersten Drucken viel zu nass. Also verlief darauf die Aqua-Wash-Farbe und erzeugte statt scharfer Linien nur blasse Flecken (s. Bilder oben): ein Problem, das wir beim Laserdruckerpapier gar nicht hatten.
Dennoch würde ich bei anspruchsvolleren Druckprojekten das hochwertigere Kupferdruckpapier empfehlen. Einerseits hielt es besser die Form, was sowohl beim Rahmen zu Ausstellungszwecken als auch beim Abfotografieren vorteilhaft war. Andererseits wirkte seine raue Haptik sinnlicher und wertiger. Um das Verlaufen der Aqua Wash darauf zu vermeiden, sollte das handgeschöpfte, gewässerte Papier auf Zeitungen ausgebreitet und von beiden Seiten mit Papiertüchern oder Zeitung abgetupft werden, bis die Oberfläche nicht mehr glänzt und sich nur noch ein wenig klamm anfühlt.
Schöne Haptik, eingeprägter Plattenrand: Kupferdruckpapier rools!
7. Schlusswort
Gerne hätte ich mit verschiedenen Papierarten experimentiert, Farbakzente gesetzt und einiges mehr, doch wie in den letzten Jahren so oft, hatte uns Corona auch bei diesem Projekt einen Strich durch die Rechnung gemacht. Kurz vor Weihnachtsferien fiel ich zwei Wochen coronabedingt aus, und Ende Januar, nach den Zeugnisferien, stand schon das neue Semesterthema an. Ein Glück, dass wir es überhaupt noch geschafft hatten, (fast) alle Platten einmal zu drucken.
Unter dem Strich hatte die Unterrichtsreihe zum Tarot fast das gesamte Halbjahr beansprucht. Sie beinhaltete einen theoretischen Part zum Layout (2-4 Unterrichtssunden), zu Schriften (2-4 US), zur Geschichte und Symbolik des Tarots (2-4 US); das Kitchen-Print-Experiment, das Konzipieren und Skizzieren der Kartenmotive (4 US), das Übertragen der Skizzen auf die Platten (2 US), das Ritzen (2 US) und schließlich das Drucken (4-6 US): ein langwieriges, auch wenn lohnendes Unterfangen.
Allen, die sich selbst daran versuchen wollen, sei daher geraten, genug Zeit für das Projekt einzuplanen. Vielleicht können einzelne Arbeitsschritte auch komprimiert oder sogar weggelassen werden. Ob das Ergebnis dann wohl auch überzeugt? Moment mal, ich befrage mal 3das Tarot-Orakel ...
Plexiglas-Scheiben nach dem Drucken
8. Nützliche Links
8.1. Was zuvor geschah: Einstieg in das Thema Tarot über die Geschichte des traditionellen Rider-Waite-Decks
Zur Geschichte des Rider-Waite-Decks ist diese 5 Minuten kurze, informative und ausgesprochen humorvolle Einführung von ARTE zu empfehlen. Überraschende Erkenntnis: Die Tarot-Geschichte hängt eng mit der Geschichte der Frauenbewegung zusammen!
8.2. Tarot-Karten und ihre Bedeutung
Kompakt und informativ: Auf meinspiel.de wird das Tarot-Spiel sowie alle 78 Tarot-Karten vorgestellt, also die große und die kleine Arkana. Hier klicken.
Ebenfalls kompakt und informativ: die Seite www.viversum.ch. Hier kann man sich schnell einen Überblick über die positive und die negative Bedeutung jeder Karte erfahren. Und sollte man mehr in die Tiefe gehen wollen: Zu jeder Kart gibt es eine ausführliche Deutung per Klick.
8.3. Immer eine Reise wert: Tarot-Garten von Niki de Saint-Phalle
Tarot in 3D: Die Künstlerin Niki de Saint-Phalle hat dem Tarot-Orakel einen ganzen Park gewidmet! "Der Giardino dei Tarocchi (deutsch: Tarotgarten) ist ein Kunst-Park in der Toskana, Italien. Er wurde von der französisch-amerikanischen Künstlerin Niki de Saint Phalle (1930–2002) entworfen und ab 1979 realisiert, gemeinsam mit ihrem Mann Jean Tinguely, der ebenfalls Künstler war. Die Parkanlage mitten in der toskanischen Hügellandschaft ist seit 1998 in den Sommermonaten für die Öffentlichkeit zugänglich." (Wikipedia)
Weitere Infos sowie viele schöne Aufnahmen des Tarot-Gartens findet man u. a. auf der Homepage des Gartens oder auch auf der Seite der Reise-Bloggerin Petra Schenk, die dem Garten einen ausführlichen Beitrag gewidmet hat. Sehenswert!
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