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Up, Up, SketchUp: Öffentliche Plätze unter Quarantäne

Aktualisiert: 3. Juli 2020

Stadtplaner sind die wahren Superhelden von heute: Sie machen unsere Welt zu einem besseren Ort.

Das 2. Semesterthema der aktuellen 12er Kunst-Leistungskurse lautet #Platzgestaltung. Schüler sollen sich mit öffentlichen Plätze auseinandersetzen und einen Platz ihrer Wahl umgestalten, so dass dieser nicht nur optisch überzeugt, sondern auch noch die Bedürfnisse von bereits vorhandenen sowie potenziellen Platznutzern berücksichtigt - ein zutiefst soziales Thema.

Habt ihr bisher als Schüler vor allem leere Gläser und volle Obstschalen gezeichnet, müsst ihr nun beim Thema Platzgestaltung über euch hinauswachsen. Mit großer Macht kommt bekanntlich große Verantwortung: Es liegt in eurer Hand, den Platz eurer Wahl neu zu definieren. Im freien Flug über eurer Heimatstadt gelingt euch der Perspektivenwechsel. Up, up, and away! Und schon verwandelt sich ein öder Parkplatz in eine Wohlfühl-Oase.


Soweit die Theorie. Die Praxis sieht allerdings etwas anders aus. Dies liegt unter anderem an den besonderen Umständen der Corona-Krise. Es muss wohl die Ironie des Schicksals sein, dass ausgerechnet in dem Halbjahr, in dem sich Kunstkurse nach draußen begeben und öffentliche Plätze untersuchen sollen, eine Pandemie ausbricht, die das gesamte öffentliche Leben lahmlegt. Wir alle werden zurzeit angehalten, zuhause zu bleiben und öffentliche Plätze zu meiden. Selbst die Ostermesse am Petersplatz in Vatikan, einem der meist frequentierten Plätze der Welt, wird in diesem Jahr erstmalig ausgesetzt.


Selbst das päpstliche "urbi et orbi" muss Ostern 2020 verlegt werden: von einem öffentlichen Platz ins Netz.

Papst Benedikt XVI. segnet während der Ostermesse 2012 das Volk

Petersplatz im März 2020


Da scheint es Glück im Unglück zu sein, dass knapp ein Jahr zuvor, im Mai 2019, DigitalPakt Schule in Kraft getreten ist. Auch wenn er viele Schüler und Kollegen zuerst extrem herausgefordert hat, erweist er sich heute als ein wahrer Segen. Dank ihm bleiben Lernende und Lehrende durchgehend vernetzt. Wir können uns einzeln und in Gruppen austauschen, größere Datenmengen hin und her schicken, Arbeitsaufträge erteilen und bearbeiten, vor allem aber fortlaufend im Gespräch bleiben.

Unverhofft (und entgegen seiner Bezeichnung) ermöglicht uns Home Access den Zugang zu dem einzigen öffentlichen Platz, der uns gerade zur Verfügung steht. Tatsächlich hat das Internet die Funktion eines städtischen Platzes übernommen: Während draußen das öffentliche Leben pausiert, bleibt im Netz alles im Fluss. Verschiedene Nutzergruppen rufen unterschiedliche Freizeitangebote ab, User können unabhängig von ihrem Alter, Herrkunft und Einkommen am öffentlichen Leben partizipieren - selbstbestimmt, demokratisch, sogar barrierefrei. Da kann kein öffentlicher Platz mithalten.


Bei all dem Jubel bleibt jedoch die Frage, was ihr als Schüler zum Thema "öffentliche Plätze" erarbeiten sollt. Natürlich nicht das WWW kartografieren, so viel ist klar. Andererseits könnt ihr den ursprünglichen Arbeitsauftrag nicht ohne weiteres umsetzen. Zum Beispiel können gerade keine Beobachtungsprotokolle angefertigt werden, schließlich hält sich an öffentlichen Plätzen keiner auf. Eure Protokolle zur Platznutzung wären somit nicht repräsentativ.


Gleichzeitig haben viele von euch im Unterricht Blut geleckt. Auf allen Kanälen erreichen mich eure Fragen, wie ihr zum Thema Platzgestaltung weiterarbeiten könntet. Verständlicherweise wollt ihr eure Zeit sinnvoll nutzen, schließlich ist dieses Thema abiturrelevant, und das nächste Kunst-Abitur kommt bestimmt. Außerdem scheinen einige von euch etwas Ablenkung sowie kreative Beschäftigung gut gebrauchen zu können. Es hilft den Tag zu strukturieren, schafft Ausgleich zu den kognitiv fordernden, lese- und tipplastigen Fächern und mündet - als eine Art Bonus - in einem individuellen und bleibenden Ergebnis, einem einzigartigen Erinnerungsstück an diese einzigartige Zeit.

Also habe ich mir Gedanken in Sache Platzgestaltung gemacht. Im Folgenden findet ihr eine Anleitung dazu, wie ihr trotz eingeschränkter Bewegungsfreiheit am Thema öffentliche Plätze dranbleiben könntet.


Ein Beispiel gelungener Platzgestaltung: Der Karen Blixens Platz in Kopenhagen (Architekturbüro Cobe, 2015)


1. Beobachtungsauftrag

Zwar können wir aktuell keine Kursexkursionen zu öffentlichen Plätzen veranstalten, aber es spricht nichts dagegen, wenn ihr einen Platz in eurer unmittelbaren Wohnumgebung individuell aufsucht, um einen Beobachtungsprotokoll zu erstellen. Dieser kann zuhause komplettiert werden (s. u.).

Viele meiner Schüler leben sehr ländlich, da finden sich kaum Plätze im städtischen Sinne. Aber auch da müssen wir alle flexibel und kreativ sein: Ob eine verlassene Aussichtsplatform mit einem leerstehenden Spielplatz daneben oder ein trister Sparkassenvorplatz mit einer in die Jahre gekommenen Bushaltestelle - überall gibt es Plätze, die nach einer Verjüngerungskur schreien.


1.1. Nicht teilnehmende Beobachtung

Das, wovon Architekturfotografen normalerweise nur träumen, ist mit einem Mal Realität: leere Stadtplätze! Alles Zufällige, Anekdotische wie etwa Hunde, Fahrradfahrer oder Passanten muss nicht mehr mühsam wegphotoshopped werden. Die Plätze zeigen sich von ihrer zeitlosen Schokoladenseite. Diese Gelegenheit kommt nicht so bald wieder. Also ist es ein guter Moment, allein mit der Kamera loszuziehen und einen nahe gelegenen Platz in seiner baulich reinsten Form festzuhalten.


Der Karen Blixens Platz verbindet den Uni-Campus mit der Königlichen Dänischen Bibliothek.


1.2. Teilnehmende Beobachtung

Zwar könnt ihr momentan keine übliche Nutzung der öffentlichen Plätze analysieren, wohl aber ihre naturgegebenen beziehungsweise baulichen Merkmale: Windzug, Lichteinfall, Dauerschatten, Bepflanzung, Platzmobiliar, Bodenbelege, Abendbeleuchtung, Randbebauung u. v. m. Sie sind immer noch da und werden auch später da bleiben. Geht also allein über den Platz eurer Wahl und protokolliert eure Eindrücke.


1.3. Qualitative Beobachtung

Alternativ zu Passanten-Befragungen vor Ort könnt ihr eure Familienangehörigen und Freunde interviewen, die den Platz eurer Wahl kennen. Das geht in einem Vieraugen-Gespräch, aber auch am Telefon oder per Chat. Wie haben sie den Platz bisher genutzt? Wo liegen ihrer Meinung nach seine Stärken bzw. Schwächen? Was konnten sie dort bisher beobachten? Auch eure eigenen Erfahrungen können in den Bericht miteinfließen.


1.4. Recherche im Netz

Je nach Bekanntheit des Platzes werdet ihr beim Googlen eures Platzes historische Grundrisse, Fotos, Interviews und Presseberichte entdecken, welche dessen Vorzüge und Defizite, punktuelle Sondernutzung (Weihnachtsmarkt, Kirmes, Stadtfest...), besondere Ereignisse u. a. dokumentieren.


1.5. Karten

Im Netz finden sich allerlei Karten, die zur Erstellung eigener Pläne herangezogen werden können. Während auf klassischen Navigationskarten (z. B. Google Maps) lediglich Straßen verzeichnet sind, führen Flurkarten (s. auch Liegenschafts- bzw. Katasterkarten) Häuserumrisse, Grundstückgrenzen etc. auf. Somit sind sie für unsere Zwecke besser geeignet. Doch wo findet man sie? Für Hannover bietet sich hierzu die Seite www.hannover-gis.de; Flurkarten von Stadthagen findet man - zugegebenermaßen in einer schlechten Auflösung - unter https://grundbuchamt.com/liegenschaftskarte/ort/stadthagen. Zur Not könnt ihr Google Earth aufrufen und ein Screenshot eures Platzes anfertigen. Die Qualität und die Detailgenauigkeit dieses Bildes wird zwar nicht die beste sein. Aber da es zumindest maßstabgerecht ist, kann es zur Erstellung eines Grundrisses nützlich sein.


In seinem Inneren birgt der Karen Blixens Platz über 2.000 Fahrradstellplätze.



2. Umgestaltungs-Konzept: Skizzen und Entwürfe

Nachdem ihr den Ist-Zustand ausreichend dokumentiert und analysiert habt, könnt ihr eigene Entwürfe von eurem Traumplatz erarbeiten. Diese können sowohl in einer klassischen Skizze visualisiert als auch anhand eines Lageplans kartografiert werden. Nutzt dazu Transparentpapier und andere Abpaustechniken. Wer keinen Leuchttisch besitzt, kann ihn sich mit Hilfe einer Tischleuchte und einer Glasplatte zurechtbasteln bzw. eine Leuchte unter einem Schreib- bzw. Couch-Tisch aus Glas aufstellen. Je nach Lichtintensität könnt fürs Abpausen auch undurchsichtiges und sogar dickeres Papier verwenden, was für eine angenehmere Haptik sorgt.

Solltet ihr euch für den digitalen Weg entschieden haben (s. unten), könnt ihr eure Platzentwürfe gleich am Rechner konstruieren, z. B. mit Hilfe von SketchUp. So könnt ihr euch einen Zwischenschritt sparen und den 2D-Entwurf als Grundlage eurer 3D-Animation benutzen.


Auch bei Nacht macht der Platz eine gute Figur.



3. Finales Modell

Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob man lieber mit tastbaren Materialien wie Holz, Modelliermasse u. ä. arbeitet oder virtuelle Welten am Bildschirm konstruiert. Sinnlich oder kognitiv, das ist hier die Frage. Vielleicht ist es für euch DIE Gelegenheit, herauszufinden, zu welchem Künstlertyp ihr gehört. Auf alle Fälle hättet ihr jetzt genug Zeit, um euch in ein neues Computerprogramm einzuarbeiten und eine Software kennenzulernen, die auch jenseits des Kunstunterrichts nützlich sein könnte: Bei eurer späteren Küchenplanung, Wohnungseinrichtung oder gar beim Hausbau. Up, up, SketchUp - 3D-Superkräfte inklusive. So viel zu der lästigen, aber im Kunstunterricht oft gestellten Frage, wofür man Kunst im späteren Leben braucht.


3.1. Modellbau

Auf der Grundlage eurer Entwürfe könnt ihr nun ein Architekturmodell eures Platzes anfertigen. Zum Modellbau bieten sich neben klassischen Materialien wie Leichtschaum auch Ton, Papier, Lego, Sand-Kleister-Gemisch usw. an - also alles, was sich räumlich formen lässt. Neben eigenen Umgestaltungsideen solltet ihr auch bauliche und topographische Konstanten im Blick behalten, also z. B. Stufen, Hügel, Graben etc. Diese kann man entweder plastisch nachbilden, oder - in Anlehnung an topographischen Konturkarten - mithilfe von Linien veranschaulichen. Seid kreativ und tobt euch aus! Schließlich wirkt das praktische Arbeiten in Zeiten häuslicher Quarantäne kathartisch: Es regt alle Sinne an, lässt die Zeit verfliegen und setzt positive Emotionen frei.



3.2. Up, up, and away! 3D-Animation in SketchUp

Als Alternative zum klassischen Modellbau bieten sich diverse digitale 3D-Animationen an. Für schulische Zwecke kann ich das Programm SketchUp empfehlen, welches kostenfrei und leicht zu bedienen ist.

Dazu möchte ich Herrn Thien, den Mitarbeiter von multimediamobile.de zitieren: "Google hat SketchUp vor längerer Zeit an die Firma Trimble verkauft. Seither heißt das Produkt Trimble SketchUp. Leider hat die Firma Trimble vor kurzem ihre Geschäftspolitik geändert. Seither gibt es die kostenlose Version nur noch als Online-Anwendung, für Schulen leider unbrauchbar. Glücklicherweise findet man ältere Version von SketchUp noch auf diversen Download-Portalen. Empfehlenswert ist die Version SketchUp Make 2017. Hier ein Link: https://www.downloads.focus.de/app/sketchup-make-2015 Wählen Sie "Manuelle Installation", damit Sie sich keinen unnötigen Download-Manager herunterladen."

Mit Hilfe von SketchUp lassen sich sowohl Plätze als auch andere architektonischen Gebilde konstruieren, mit hinterlegten bzw. selbst generierten Oberflächen und Details gestalten (Mauerwerk, Bäume, Menschen...) sowie im Folgenden virtuell begehen. Darin besteht ünrigens ein signifikanter Mehrwert gegenüber dem klassischen Modellbau, denn so könnt ihr euren selbstgestalteten Platz aus der Perspektive eines Fußgängers erleben. Selbstverständlich könnt ihr auch andere Programme als SketchUp dafür verwenden, davon gibt es inzwischen viele auf dem Markt.



Öffentliche Plätze unter häuslicher Quarantäne: Es geht also doch. Ich bin schon gespannt auf eure Entwürfe! Ihr alle seid herzlich dazu eingeladen, eure Ideen, Skizzen und Modelle hier zu posten, als Fotos oder auch als kleine Videos. Dies ist der öffentliche Platz dafür.


Tutorials zu SketchUp: eine kleine Auswahl

© Christoph Greger


Erste Schritte: erklärt exemplarisch das Programm am Beispiel der Konstruktion eines Gebäudes


Ein reales Haus in SketchUp erstellen; Hinzufügen von Texturen


Volumenkörperfunktionen: Mit den Volumenkörperfunktionen kann man Objekte verschmelzen oder mit einem Objekt ein Loch in ein anderes Objekt schneiden.


Terrain und Landschaften zeichnen




Andere Quellen


Hinweise zur schriftlichen Abitur-Prüfung 2021


Zur Ostermesse 2012:


Zur Ostermesse 2020:



Zu Karens Blixens Platz in Kopenhagen:

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